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Senatskanzlei

Trauer um einen großen Bremer: Bürgermeister a.D. Hans Koschnick im Alter von 87 Jahren gestorben

Einsatz für die Aussöhnung mit Israel und Polen – 18 Jahre Präsident des Senats

Kondolenzbuch im Bremer Rathaus

21.04.2016

Bremens langjähriger Bürgermeister Hans Koschnick ist heute in den frühen Morgenstunden (21. April 2016) im Alter von 87 Jahren gestorben. "Wir trauern um einen großen Bremer. Mit Hans Koschnick verlieren wir einen herausragenden Politiker, einen von allen geschätzten, hoch geachteten und überzeugten Demokraten. Hans Koschnick hat mit seiner Persönlichkeit, seiner Volksverbundenheit und seinem unerschütterlichen Glauben an die Versöhnung und Verständigung zwischen den Völkern unauslöschliche Spuren hinterlassen", würdigte Bürgermeister Carsten Sieling den verstorbenen Ehrenbürger der Stadt, der sich insbesondere um die Versöhnung zwischen Deutschen und Polen verdient gemacht hat.
Koschnick hinterlässt seine Ehefrau Christine und seinen Sohn Peter mit Ehefrau und zwei Enkeln.

Hans Koschnick wurde am 2. April 1929 in Bremen geboren. Er wuchs im Arbeiterstadtteil Gröpelingen auf und war zwischen 1951 und 1954 als Bezirkssekretär der Gewerkschaft "Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr" (ÖTV) tätig. Im Jahr 1955 zog er mit gerade 26 Jahren als jüngster SPD-Abgeordneter in die Bremische Bürgerschaft ein. 1963 folgte die Berufung als Innensenator in die Bremer Landesregierung (Senat), von 1965 bis 1967 war er zudem auch Bürgermeister. Von 1967 bis 1985 führte er schließlich als Präsident des Senats und Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen die Landesregierung an. Als Hans Koschnick 1967 das Amt des Präsidenten des Senats von Willy Dehnkamp übernahm, war er mit 38 Jahren auch der jüngste Regierungschef eines Bundeslandes. Achtzehn Jahre lang, in vier Wahlen mit jeweils absoluten Mehrheiten eindrucksvoll bestätigt, blieb Hans Koschnick Bremer Regierungschef. 1985 zog er sich überraschend aus der aktiven Bremer Landespolitik zurück. Im Deutschen Bundestag vertrat Koschnick dann von 1987 bis 1994 den Wahlkreis Bremen-West. Von 1994 bis 1996 war er EU-Administrator für den Wiederaufbau der zerstörten und geteilten herzegowinischen Stadt Mostar und Bosnienbeauftragter der Bundesregierung.

Während seiner Bremer Amtszeit war Hans Koschnick Präsident des Deutschen Städtetages (1971-1977), Präsident des Verbandes Kommunaler Unternehmen und Präsident des Welt-Gemeindeverbandes (1981-1985). Zweimal war er als Bremer Regierungschef Präsident des Bundesrates (1971-1972 und 1981-1982). Koschnick war von 1970-1991 Mitglied des Bundesvorstandes der SPD und von 1975-1979 stellvertretender Parteivorsitzender.

Hans Koschnick, der ‚Gröpelinger Jung‘ - wie er sich gelegentlich selber gern bezeichnete - war durch und durch Bremer. "Das Wohl seiner Stadt, die Entwicklung des kleinsten Bundeslandes mit seinen Städten Bremen und Bremerhaven lagen ihm von Beginn seiner politischen Laufbahn an am Herzen", so Sieling. In der Nachfolge des ersten legendären Bremer Nachkriegs-Bürgermeisters Wilhelm Kaisen hat Hans Koschnick für Bremen unter dem Motto von Willy Brandt "Mehr Demokratie wagen" Zeichen gesetzt. Reformbereitschaft und Toleranz, Experimentierfreude und Weitblick prägten seine Ära. Die Gründung der Bremer Universität, die Ansiedlung des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung, die Gründung des Deutschen Schiffahrtsmuseums und die Erweiterung des Container-Terminals in Bremerhaven belegen dies eindrucksvoll. Koschnick gewährte Gestaltungsfreiheit – "Bremer Modelle" wurden zum Begriff und beschreiben die Bereitschaft, auch alternative gesellschaftliche Konzepte zu erproben. Für viele dieser Initiativen konnte er auch andere Bundesländer gewinnen. In seiner Amtszeit wird ein gewaltiges Wohnungsbauprogramm erweitert und abgeschlossen. Als sein größter wirtschaftspolitischer Erfolg gilt die Ansiedlung des Mercedes Werkes in Bremen mit über 12.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Darüber hinaus hat der Bremer Senat unter Koschnick den Luft- und Raumfahrtstandort Bremen zielstrebig und konsequent weiterentwickelt. Gelitten hat Hans Koschnick unter der Schließung der Traditionswerft AG Weser im Jahr 1983.

Mit all seiner Kraft, seiner zupackenden und gradlinigen Art hat sich der überzeugte Sozialdemokrat Hans Koschnick sein Leben lang für Gerechtigkeit und Menschenwürde eingesetzt und in besonderem Maße für die Aussöhnung unter den Völkern gewirkt. "Durch seinen Einsatz als EU-Administrator in der bosnischen Stadt Mostar hat Koschnick seinen Platz in der Geschichte Europas", so der damalige Innenminister Otto Schily. Hans Koschnick genoss während seines jahrzehntelangen politischen Wirkens in allen politischen und gesellschaftlichen Lagern einen hervorragenden Ruf und war in allen Bevölkerungsschichten beliebt. Nach Beendigung seiner aktiven politischen Tätigkeiten waren Koschnicks Verhandlungsgeschick, seine Integrationskraft und persönliche Autorität auch immer wieder bei verfahrenen Tarifverhandlungen gefragt, zu denen er als Schlichter gerufen wurde.

Hans Koschnick hat die ihn bestimmende politische Prägung bereits in seinem Elternhaus erfahren. Während der Nazi-Diktatur erfuhr, durchlebte und durchlitt der junge Hans Koschnick die Verfolgung und Inhaftierung seiner politisch und gewerkschaftlich im Widerstand aktiven Eltern. Im Krieg verlor er seinen Vater. Im Mai 1945 geriet Hans Koschnick als 16jähriger selbst in britische Gefangenschaft nach Belgien, von wo aus er im Oktober 1945 wieder nach Hause zurückkehren konnte. Koschnick über sich selbst: "Ich bin von frühester Kindheit in meiner Erlebniswelt und meinem Bewusstsein dadurch geprägt, dass eine gleichberechtigte, lebenswerte Existenz auf dieser Erde es verbietet, weiter hinzunehmen: eine Ordnung, in der Obrigkeit und Untertan, reich und arm, oben und unten, schrankenlose Freiheit und totale Abhängigkeiten den Alltag des Menschen bestimmen und der einzelne nicht mit aufrechtem Gang für eine gerechte Sache eintreten kann."

Bürgermeister Carsten Sieling: "Wir danken Hans Koschnick für alles, was er für Bremen, für die Menschen in unserem Land und für die internationale Gemeinschaft getan hat. Wir werden ihn nicht vergessen. Unsere herzliche Anteilnahme gilt seiner Familie, bei der wir in Gedanken sind."

Versöhnung mit Polen und Israel
Ein ganz besonderes Anliegen war Hans Koschnick die Normalisierung des Verhältnisses zwischen Deutschland und Polen. Untrennbar ist sein Name mit der deutsch-polnischen und der deutsch-israelischen Verständigung verbunden. Und so war es nur konsequent, dass unter seiner Amtsführung nach dem Kniefall von Warschau im Zuge der Ostpolitik Willy Brandts 1976 die erste deutsch-polnische Städtepartnerschaft zwischen Bremen und Gdansk (Danzig) gegründet wurde. Zeitgleich mit der Städtepartnerschaft zu Haifa in Israel, was er nicht müde wurde zu betonen. Ihm war es wichtig, mit der alten Hansestadt Danzig, die mit dem Überfall von Nazi-Deutschland zum Ausgangspunkt des 2. Weltkriegs geworden war, "Löcher in den eisernen Vorhang zu bohren". Koschnick wollte die Annäherung der Menschen zwischen den Systemen fördern und er wurde nicht müde, für die Ziele der Ostpolitik auch die westlichen Nachbarn in Frankreich, Belgien, Israel und den USA zu gewinnen. Auch mit Haifa in Israel wählte er eine besondere Partnerstadt aus. Er begann damit, als Golda Meir ihn 1975 als ersten deutschen Spitzenpolitiker im Auftrag des SPD-Bundesvorstandes, zu einem offiziellen Besuch empfängt. Koschnick sollte sondieren, inwieweit sich die Bonner Regierung in eine Vermittlung zwischen Israel und der arabischen Welt einbringen könne. Der Bremer Bürgermeister setzte sich immer wieder für die Begegnung von Juden und Deutschen ein. "Wer wie wir in schicksalshafter Verstrickung mit dem jüdischen Volk ist, darf nicht schweigen", so seine Überzeugung. Das Existenzrecht Israels war ihm von entscheidender Bedeutung. Zugleich warb er für einen Ausgleich mit den Palästinensern und plädierte für eine Zwei-Staaten-Lösung. Hans Koschnick hat sich mit besonderem Engagement der Verständigung unter den Völkern gewidmet, denen Deutschland mit dem 2. Weltkrieg unsägliches Leid gebracht hatte. "Gegen Vergessen - Für Demokratie" war auch sein Lebensmotto, für das er sich nach seiner aktiven Politik dann ehrenamtlich im gleichnamigen Verein mit Hans-Jochen Vogel, Rita Süssmuth und Joachim Gauck engagiert hat.

Brückenbauer für den Frieden – EU-Administrator in Mostar
Hans Koschnick war ein Brückenbauer, hoch geschätzt für seine Umgänglichkeit und seine Kompromissfähigkeit. Genau diese Eigenschaften waren nach dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens und den Balkankriegen der 1990er-Jahre gefragt. Die Europäische Union berief ihn deswegen im Jahr 1994 zum Administrator der im Bosnienkrieg schlimm zerstörten Stadt Mostar. Als "neutraler Ausländer" sollte er die geteilte Stadt wieder einen, sollte Kriegsparteien versöhnen, Menschen zusammenführen. Mit Tatkraft und voller Leidenschaft ging er an die Arbeit, kümmerte sich mit Unterstützung von Hilfeleistungsorganisationen um die Trinkwasserversorgung sowie den Wiederaufbau zerstörter Schulen und Wohnhäuser. Seine Mission war auf die Zusammenführung der geteilten Stadt ausgelegt. Mächtige Gegner vor Ort versuchten ihn mit einem Granatenanschlag und einem Überfall umzubringen. Vor laufenden Fernsehkameras versuchte ein aufgebrachter Mob, Koschnick aus seinem Auto "zu holen" um ihn zu lynchen – das gepanzerte Fahrzeug konnte erst nach einer Stunde entkommen. Auch nach seinem Engagement auf dem Balkan setze sich Koschnick weiter für die Menschlichkeit ein, forderte mehr finanzielle Mittel für die humanitäre Hilfe und unterstützte stetig den Gedanken der Aussöhnung. Sein Wirken auf nationaler und internationaler Ebene würdigte seine Heimatstadt im Jahr 1994 mit der Bremischen Ehrenmedaille in Gold – der höchsten Auszeichnung der Freien Hansestadt Bremen.

Ehrenbürger
Koschnick, der nie viel Aufhebens um sich machte, ist im Verlaufe seines Lebens mit zahlreichen Auszeichnungen gewürdigt worden. So wurde er u.a. Ehrenbürger der Stadt Gdansk und Träger des Ehrendoktortitels der Stadt Haifa. 2000 wurde ihm der Lew-Kopelew-Preis übergeben, 2004 übertrug ihm die Universität Bremen die Ehrendoktorwürde. 2006 erhielt er den Ehrenpreis der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Aachen. Bremen machte ihn 1999 anlässlich seines 70. Geburtstages zum Ehrenbürger der Stadt. Hans Koschnicks fortwährender Einsatz für die Menschenwürde, seine klare und mutige Haltung gegen zerstörerischen Nationalismus, sein persönlicher Einsatz für die Versöhnung und das friedliche Zusammenleben verfeindeter Volksgruppen auf dem Balkan bleiben unvergessen.

Hinweis: Im Bremer Rathaus liegt anlässlich des Todes von Hans Koschnick ab sofort ein Kondolenzbuch aus (Mo.-Fr. 8-19 Uhr), in dem die Bremerinnen und Bremer ihre Anteilnahme zum Ausdruck bringen können.

Foto: Senatspressestelle