Acht Jahre lang sollen Eltern und Kinder begleitet und gefördert werden / Bund gibt zunächst über sechs Millionen Euro dazu, die Stadt Bremen 2,5 Millionen und die Jacobs Foundation 1,9 Millionen
13.12.2016Wissenschaftliche Langzeitstudien, die Auswirkungen früher Fördermaßnahmen untersuchen, sind in den USA weit verbreitet, im deutschen Forschungsbetrieb gehören sie zu den ganz seltenen Ausnahmen. Erstmals startet jetzt für Deutschland (in Bremen) ein Projekt, das prüfen soll, ob die Frühförderung von Kindern sich verbessern lässt, indem Eltern und Kinder konsequent auf bereits vorhandene vorschulische Förderprogramme orientiert werden, sodass eine nahtlose Förderkette von der Geburt bis zur Einschulung entsteht. Die Projektphase der Bremer Initiative zur Stärkung frühkindlicher Entwicklung (BRISE) soll im kommenden Jahr (2017) starten, die Studie soll bis ins Jahr 2024 hinein Erkenntnisse liefern. "Wir versprechen uns Hinweise, die uns helfen, soziale Nachteile von Kindern in ganz Bremen auszugleichen, bevor sie ihre Entwicklung beeinträchtigen können", sagte Anja Stahmann, Senatorin für Soziales, Jugend, Frauen, Integration und Sport. "So entwickeln wir ein nachhaltiges Angebot, um die Entwicklungschancen von Kindern deutlich zu verbessern."
Im Ressort der Sozialsenatorin liegt zunächst die Projektleitung, die Geschäftsführung übernimmt die Behörde von Dr. Claudia Bogedan, Senatorin für Kinder und Bildung. "Das Projekt BRISE bietet die Chance, Kinder und Familien in Bremen durch bereits vorhandene und erprobte Förderprogramme systematisch zu begleiten und zu fördern. Zudem ermöglicht es die Weiterentwicklung von ressortübergreifenden Arbeitsstrukturen, orientiert an den biografischen Entwicklungsverläufen von Kindern. Es geht daher auch um die Entwicklung und Erprobung von Strukturen, die die Stärkung des Hilfe- und Bildungssystems für Kinder unterstützen", sagte Senatorin Bogedan.
"Die frühen Hilfen", betont Bremens Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Verbraucherschutz, Prof. Dr. Eva Quante-Brandt, setzen dabei bereits in der vorgeburtlichen Umsorgung und der Beratung über nachgeburtliche Sorge und Pflege an. Über Programme des Gesundheitsamtes wie TippTapp, die Familienhebammen und Elternschulen an Krankenhäusern erreichen wir Familien von Anfang an und unterstützen sie in der ersten Zeit. Deshalb freue ich mich sehr, dass es gelungen ist, das ambitionierte Projekt BRISE mit wissenschaftlicher Begleitung durch die Universität Bremen durchzuführen. Hier soll ein großes Konsortium hochrangiger wissenschaftlicher Einrichtungen wichtige Erkenntnisse über die optimale Förderung von Kindern ab der Geburt bis zur Einschulung gewinnen helfen. Die Langzeitstudie ist auch überregional von großer Bedeutung, denn die Ergebnisse können auch auf andere Standorte in Deutschland übertragen werden."
BRISE ist eine gemeinschaftliche Initiative einer Vielzahl von Projektpartnern. Dazu gehören der Senat der Freien Hansestadt Bremen, das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), die Jacobs Foundation und ein Wissenschaftskonsortium mehrerer Universitäten und außeruniversitärer Institute. Wesentlich beteiligt sind das Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) in Kiel und die Universität Bremen. Prof. Dr. Olaf Köller, wissenschaftlicher Direktor am IPN und Leiter des Wissenschaftskonsortiums, sieht in BRISE "die einmalige Chance, wissenschaftliche Erkenntnisse in die Förderpraxis zu transferieren und gleichzeitig neues Wissen darüber zu gewinnen, wie Förderprogramme weiter verbessert werden können, um soziale Ungerechtigkeiten zu reduzieren". Bremens Uni-Rektor Professor Dr.-Ing. Bernd Scholz-Reiter freut sich, dass BRISE die Neuaufstellung des Faches Psychologie hervorragend ergänzt. Eine neue Professur für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie mit international sichtbarem Profil in der Säuglings- und Kleinkindforschung steht kurz vor der Berufung.
"Sozial und kulturell benachteiligte Familien stellen in Bremen – wie in vielen anderen deutschen Großstädten – einen erheblichen Teil der Bevölkerung dar", sagte Senatorin Anja Stahmann. "Wir wissen, dass Kinder sich in Abhängigkeit ihrer sozialen Herkunft unterschiedlich entwickeln – und dass frühe Förderung die Bildungsvoraussetzungen verbessern kann. Wir hoffen, dass die frühe Zusammenarbeit mit Familien und eine konsequente Verkettung von Förderangeboten diesen Effekt spürbar verstärken. Ich bin überzeugt: Je früher und je wirkungsvoller in die Bildung eines Kindes investiert wird, desto mehr legen wir die Grundlagen für ein Leben in persönlicher Lebenszufriedenheit und wirtschaftlicher Eigenständigkeit."
"BRISE soll die Wirksamkeit von nachhaltiger kognitiver und sozial-emotionaler Förderung von Kindern in einem sozial benachteiligten Umfeld erforschen", ergänzte Bildungssenatorin Claudia Bogedan. "Aus den Erkenntnissen wollen wir möglichst konkretes Handlungswissen erzeugen und Standards im Hinblick auf Qualitätsanforderungen entwickeln. Nur wenn Kinder mit vergleichbaren Voraussetzungen in die Schulen kommen, können wir ihnen vergleichbare Chancen für ihr Leben ermöglichen."
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) untersucht dabei auch die indirekten Kosten- und Nutzenströme, bezogen auf die finanziellen Investitionen und möglichen ökonomischen Renditen, die mit einer durchgängigen Förderkette verbunden sein können.
Für die beiden vierjährigen Förderphasen hat das BMBF einen Mittelrahmen von über zwölf Millionen Euro in Aussicht gestellt. 6,3 Millionen für die erste Phase sind bereits bewilligt, davon etwa zwei Drittel für die Universität Bremen. Von der Evaluation der ersten Phase im Jahr 2020 hängt die weitere Förderung ab.
1.000 Kinder werden durch die Studie begleitet. 250 von ihnen werden die in BRISE angelegte Maßnahmenkette vollständig durchlaufen. 750 Kinder nehmen nach Maßgabe elterlicher Entscheidung an den Förderprogrammen teil. Dabei wird die Entwicklung der beteiligten Kinder ausführlich dokumentiert und in Beziehung gesetzt zur Nutzung der Fördermaßnahmen. Die Kinder werden aus den Geburtsjahrgängen 2017 und 2018 nach und nach in die Untersuchung aufgenommen. Für die beteiligten Familien beginnt die Studie in den letzten Schwangerschaftsmonaten und reicht bis in das erste Grundschuljahr hinein. Die Universität Bremen ist für die Koordination vor Ort sowie für die Begleitung der "BRISE-Familien" zuständig, wodurch die Familien regelmäßig zusätzliche Informationen über den Entwicklungsstand ihrer Kinder erhalten.
Familien werden in die Studie aufgenommen, wenn aus einem Merkmalsbündel mehrere biographische Belastungen auf sie zutreffen. Dazu gehören unter anderem: niedriges Familieneinkommen, Arbeitslosigkeitserfahrungen, Kinderarmut, sowie Zuwandergeschichte.
"Im Fokus stehen also Kinder, die unter erschwerten Bedingungen aufwachsen und deren Lebenssituation durch unterschiedliche Faktoren belastet ist", sagte Senatorin Stahmann. Dazu wird die Studie in vergleichbaren Ortsteilen stattfinden, in denen ausgewählte Sozialindikatoren auf soziale und kulturelle Benachteiligung hinweisen.
Die Langzeitstudie wird von einem interdisziplinären Wissenschaftskonsortium getragen, an dem folgende wissenschaftliche Institutionen beteiligt sind: Die Universität Bremen, das Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN), das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), die Otto-Friedrich-Universität Bamberg, das Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LlfBi), die Ruprechts-Karl-Universität Heidelberg, die Freie Universität Berlin, das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) sowie das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung.
Die Gesamtkosten der ersten Projektphase von vier Jahren belaufen sich auf circa 10,7 Millionen Euro. Davon trägt das BMBF 6,3 Millionen, die Stadt Bremen 2,5 Millionen und die Jacobs Foundation 1,9 Millionen. Die BMBF-Mittel fließen in die wissenschaftliche Begleitung, die Mittel aus der Jacobs Foundation und der Stadt Bremen im Wesentlichen in den Ausbau der Förderprogramme. "Die ersten Lebensjahre sind prägend in der Entwicklung eines Kindes und damit entscheidend für sein späteres Leben", betont Sandro Giuliani, Geschäftsführer und Delegierter des Stiftungsrats der Jacobs Foundation. "Mit BRISE setzen die beteiligten Partner ein starkes Zeichen für die Bedeutung der frühkindlichen Bildung in Europa."
Weitere Informationen gibt es auf der Internetseite www.brise-bremen.de
Foto: Senatspressestelle