Abschluss in einem Jahr
23.11.2020Bremen legt los: Am heutigen Montag, 23. November 2020, hat die Arbeit am Landesaktionsplan zur Bekämpfung und Verhütung von Gewalt gegen Frauen und Kinder offiziell begonnen. In einer Videokonferenz haben sich am Vormittag rund 150 Fachleute von Beratungseinrichtungen, Frauenhäusern, Polizei, Staatsanwaltschaft und anderen Behörden ausgetauscht und das weitere Vorgehen festgelegt. In einem Jahr soll der Landesaktionsplan fertig sein.
"Gewalt an Frauen und Mädchen ist ein tiefgreifendes Problem in Deutschland"
"Dieser Tag ist bedeutungsvoll, da wir heute in Bremen offiziell die Umsetzung der Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt des Europarats, kurz Istanbul-Konvention, beginnen", so Frauensenatorin Claudia Bernhard, deren Haus gemeinsam mit der Bremischen Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau (ZGF) die Arbeit am Landesaktionsplan steuert. Die Istanbul Konvention verpflichtet Bund, Länder und Gemeinden zu weitreichenden Maßnahmen und einem aufeinander abgestimmten Vorgehen. In Deutschland ist sie seit 2018 in Kraft, die Bremische Bürgerschaft hatte ein Jahr später eine Gesamtstrategie in Form eines Landesaktionsplans beschlossen. Claudia Bernhard: "Die Istanbul-Konvention ist ein Instrument zur Umsetzung der Menschenrechte – Gewalt gegen Frauen ist eine Menschenrechtsverletzung. Sie ist Ausdruck eines hierarchischen Geschlechterverhältnisses und führt dazu, die strukturelle Ungleichheit der Geschlechter fortzuschreiben. Mit der Ratifizierung der Istanbul-Konvention hat Deutschland anerkannt, dass Gewalt an Frauen und Mädchen auch in Deutschland ein tiefgreifendes Problem ist, dem mit umfassenden Maßnahmen zur Prävention, Intervention, Schutz und Sanktionen begegnet werden muss." Die Senatorin verwies auf eine gute Gesetzeslage in Deutschland und ein ausdifferenziertes Hilfesystem in Bremen. Beides bilde die Basis, hierauf eine Gesamtstrategie aufbauen zu können: "Unser Landesaktionsplan wird aufzeigen, welche weiteren Maßnahmen in Bremen ergriffen werden müssen, um unser Schutz- und Hilfesystem zu stärken und das Recht von betroffenen Frauen auf niedrigschwellige, spezialisierte und barrierefreie Unterstützung noch besser zu gewährleisten." Der bessere Schutz besonders bedürftiger Frauen, die Mehrfachdiskriminierung erleben wie Frauen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen, zugewanderte Frauen oder Frauen ohne sicheren Aufenthaltsstatus, müsse ein Schwerpunkt der künftigen Arbeit sein.
Bremen steht bislang gut da – dennoch fehlt die Gesamtstrategie
"Gewalt gegen Frauen und Kinder betrifft uns alle, weil es ein strukturelles Problem ist, das alle Schichten, alle Kulturen, alle Altersstufen umfasst und das unser Wertesystem und unsere Demokratie angreift.", erklärte Landesfrauenbeauftragte Bettina Wilhelm zum heutigen Auftakt, "Gewalt gegen Frauen und Kinder ist kein individuelles Problem - Häusliche Gewalt, sexuelle Gewalt, Zwangsverheiratung, weibliche Genitalverstümmelung, Zwangsprostitution sind alles Formen der Gewalt, die eine Frau nicht treffen, weil sie zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort war oder sich den falschen Mann ausgesucht hat, sondern weil sie eine Frau ist. Weil ihr aufgrund ihres Frau-Seins bestimmte Werte, Charaktereigenschaften und Pflichten zugeschrieben werden, die bei Nichterfüllung Gewalt zur Folge haben. Auch Männer erfahren Häusliche Gewalt, aber diese unterscheidet sich von der, die Frauen erfahren, in der Häufigkeit, in der Schwere und in der Form sowie in den Gründen." Bremen mit seinem Schutz- und Hilfesystem für Opfer von Gewalt stehe im Bundesvergleich vielfach besser da als andere Bundesländer, sei oft sogar Vorreiter für Modellprojekte. "Was aber bislang vor allem fehlte, war eine Gesamtstrategie", so die Landesfrauenbeauftragte, "und die bekommen wir jetzt mit dem Landesaktionsplan: Aufbauend auf einer guten Übersicht des Bestehenden wird klar benannt, was wir erreichen wollen, und konkrete und messbare Schritte aufgezeigt, wie wir es erreichen wollen – für eine gewaltfreiere, gleichberechtigtere und demokratischere Gesellschaft."
Schockierende Zahlen, bittere Realität: Expertin Monika Schröttle ordnet ein
In Deutschland wird jede vierte Frau Opfer von Gewalt durch einen Partner oder Ex-Partner, jede Siebte erlebt sexualisierte Gewalt im Erwachsenenleben und jede fünfte Frau wird Opfer von Stalking. Jeden dritten Tag wird eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet: Zahlen, die schockieren und die zum heutigen Auftakt von der renommierten Münchener Soziologin Dr. Monika Schröttle erläutert und in bremische Zusammenhänge eingeordnet wurden. Monika Schröttle ist Leiterin des Schwerpunkts Gender, Gewalt und Menschenrechte mit einer Forschungs- und Beobachtungsstelle zur Umsetzung der Istanbul Konvention am Institut für empirische Soziologie der Universität Erlangen-Nürnberg. Sie ist Autorin zahlreicher wegweisender Studien zu geschlechtsbezogener Gewalt, u.a. für das Bundesfamilienministerium. Die Expertin erklärte die Details der Istanbul Konvention, gab Hinweise für die Umsetzung auf kommunaler Ebene und warb sehr dafür, die Perspektive von Gewalt betroffener Frauen einzubeziehen und zu einem wichtigen Faktor für die weitere Arbeit zu machen. Die Soziologin betonte zudem den übergeordneten Aspekt des gesamten Themas: "Wir müssen eines knacken", so Monika Schröttle, "das sind die Kontrollmechanismen und Hierarchisierungen im Geschlechterverhältnis. Insofern muss Prävention nicht nur direkt Gewalt adressieren, sondern vor allem die zugrundeliegenden Geschlechterverhältnisse." Schröttle wies zudem darauf hin, dass eine prozessbegleitende Evaluierung und Forschung über Wirkungen und Wirksamkeit von Maßnahmen wichtige Grundlage für die weitere Umsetzung der Istanbul Konvention seien.
So geht es jetzt weiter: Arbeitsgruppen erarbeiten Ziele und Maßnahmen
Nach dem heutigen Auftakt werden in den kommenden Monaten Arbeitsgruppen zu den Themen Häusliche Gewalt, Stalking, Sexuelle Gewalt und sexuelle Belästigung, Digitale Gewalt, Zwangsheirat und Kinderehen, Zwangsprostitution sowie Weibliche Genitalverstümmelung den Ist-Zustand, Ziele und Maßnahmen erarbeiten. Die ZGF und eine Koordinierungsstelle, die im Frauenressort angesiedelt ist, steuern die Arbeit der Gruppen. Im Mai kommenden Jahres wird die Bremische Bürgerschaft einen Zwischenbericht zum Stand der Umsetzung erhalten, im November soll die Arbeit abgeschlossen und der Landesaktionsplan einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Ansprechpartner/-in für die Medien:
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Lukas Fuhrmann, Pressesprecher der Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz,
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