Der Senat der Freien Hansestadt Bremen hat heute (13. Januar 2015) einen Entwurf zum Armuts- und Reichtumsbericht vorgelegt. Er soll nun in Gremien und Veranstaltungen diskutiert und anschließenden der Bremischen Bürgerschaft zur Beratung vorgelegt werden. "Der Bericht macht deutlich, dass Bremen zahlreiche Maßnahmen gegen Armut und für die Stärkung des sozialen Zusammenhalts umgesetzt hat", sagte Bürgermeister Jens Böhrnsen, "vom Mindestlohn bis zum Wohnungsbau, von Ganztagsschulen über Kinderbetreuung bis zum Stadtticket, vom Ausbau des WiN-Programms bis zur Schulsozialarbeit und vieles mehr. Damit wurden Wege aus der Armut eröffnet und die Möglichkeiten zur Teilhabe trotz Armut verbessert."
"Der Bericht spiegelt positive Entwicklungen seit dem ersten Armuts- und Reichtumsbericht wider, zeigt aber auch, dass Bremen in seinen Anstrengungen nicht nachlassen darf, der Armut entgegenzutreten", betonte Anja Stahmann, Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen. "Denn die Zahl der Menschen in Armutslagen in unserem Bundesland bleibt hoch, auch im Bundesvergleich. Wir werden weiter alle gesellschaftlichen Kräfte brauchen, damit jeder an seiner Stelle der Armut und ihren Folgen wirksam entgegentreten kann." Notwendig seien weiterhin ausreichende Einkommen bei guter Arbeit, der Abbau des Niedriglohnsektors, die Weiterentwicklung des Mindestlohns und der Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit mit gleichzeitig ausreichenden finanziellen Leistungen für Kinder, "zum Beispiel über eine Kindergrundsicherung".
"Für diese Themen wird sich Bremen auf Bundesebene einsetzen, ebenso wie für eine gerechte und ausgleichende Steuerpolitik", sagte Bürgermeister Böhrnsen. "Im Land Bremen wird der Senat seine Politik des sozialen Zusammenhalts fortsetzen und im Bündnis mit der Zivilgesellschaft weiterentwickeln."
Armut und Reichtum
In Bremen sind 23,1 Prozent der Bevölkerung armutsgefährdet, mehr als in allen anderen Bundesländern (Stand: 2012). Unter den Großstädten liegt die Stadt Bremen mit diesem Wert im oberen Drittel. Dortmund, Leipzig und Hannover haben höhere Werte als Bremen. Als armutsgefährdet gilt nach EU-Maßstäben, wer über ein Einkommen verfügt, das weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens beträgt. Sortiert man alle Einkommen in Deutschland nach ihrer Höhe, dann beträgt das mittlere Einkommen ("Median") 1.450 Euro. Armutsgefährdet ist danach also, wer als Einzelperson weniger als 869 Euro für Miete, Lebenshaltung und Lebensgestaltung zur Verfügung hat; für eine vierköpfige Familie liegt die Schwelle der Armutsgefährdung bei etwa 2.000 Euro pro Monat.
Besondere Armutsrisiken bestehen für Alleinerziehende mit Kindern. 49,7 Prozent von ihnen sind armutsgefährdet, fast fünfmal so viele wie zusammenlebende Paare mit einem Kind (10,8 Prozent von ihnen sind armutsgefährdet) oder zusammenlebende Paare ohne Kinder (11,6 Prozent Armutsgefährdung). Haushalte mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern liegen ungefähr im Durchschnitt der Armutsgefährdung, Familien mit drei oder mehreren Kindern dagegen am oberen Rand (45,3 Prozent). "Diese Verteilung der Armutsrisiken über die Lebensformen findet sich auch in anderen Stadtstaaten und im Bund", sagte Senatorin Anja Stahmann. "Das zeigt uns, dass es richtig war, viel Geld in den Ausbau der Kindertagesbetreuung zu investieren, und dass wir richtig liegen, wenn wir die Stadtteile mit besonderen sozialen Problemen beim Ausbau von Kita-Plätzen in den kommenden Jahren viel stärker berücksichtigen."
7,3 Prozent der Bremer dagegen können nach wissenschaftlichen Maßstäben als reich angesehen werden. Sie verfügen über mehr als 200 Prozent des Median-Einkommens, also rund 3.000 Euro im Monat für eine Einzelperson oder 7.000 Euro für eine vierköpfige Familie.
Entwicklung der Einkommen
Insgesamt haben sich die Einkommen in Bremen positiv entwickelt. So ist die Zahl der Einkommen unter 900 Euro von 20,23 Prozent (2008) auf 17,5 Prozent (2012) gesunken, und die Zahl der Einkommen zwischen 900 und 2000 Euro hat von 44,28 auf 42,33 Prozent abgenommen. Im Gegenzug finden sich mehr Bremerinnen und Bremer bei den höheren Einkommen: Die Einkommen zwischen 2.000 und 2.600 Euro stagnieren – im Jahr 2008 waren es 14,37 Prozent der Beschäftigten, die so viel verdient haben, im Jahr 2012 dann 14,47 Prozent. Eine steigende Zahl an Bremerinnen und Bremern hat dagegen Einkommen über 2.600 Euro erzielt: im Jahr 2008 waren es 21,11 Prozent, im Jahr 2012 dann 25,85 Prozent.
Betrachtet man Einnahmen aus Vermögen und Einkommen aus Arbeit getrennt, dann zeigen sich allerdings sehr unterschiedliche Entwicklungen: Die Einnahmen aus Vermögen in Bremen sind zwischen 2005 und 2011 um 36,6 Prozent gestiegen – mehr als in jedem anderen Bundesland (es folgt Bayern mit +27,5 Prozent). Die nominellen Arbeitnehmereinkommen in Bremen sind dagegen nur um 17,7 Prozent gestiegen. Beide Einkommensarten haben aber in Bremen stärker zugelegt als im Bundesdurchschnitt. Dort sind die Einnahmen aus Vermögen zwischen 2005 und 2011 um 21,7 Prozent gestiegen, und die Einkommen aus Arbeit um 16,7 Prozent. "Dass die Einnahmen aus Vermögen so viel mehr angestiegen sind, zeigt deutlich, dass auch die soziale Spaltung der Stadt zwischen Vermögenden und Arbeitnehmern weiter voranschreitet", sagte Senatorin Stahmann. Und Bürgermeister Böhrnsen betonte: "Bremen setzt sich aus diesem Grund auf Bundesebene auch weiterhin für ein ausgleichendes Steuersystem und die Einführung einer Vermögensbesteuerung ein."
Arbeitsmarkt
Die Entwicklung am Arbeitsmarkt ist seit dem ersten Armuts- und Reichtumsbericht 2009 in einigen Bereichen durchaus positiv verlaufen: 16.500 zusätzliche sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze sind zwischen 2009 und 2013 im Land Bremen entstanden, die Arbeitslosigkeit ist von 13,8 auf 11,1 Prozent zurückgegangen. Sie liegt aber noch deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 6,9 Prozent (Stand: 2013). Bremen hat aktuell die höchste Arbeitslosenquote unter allen Ländern.
Die Zahl der Langzeitarbeitslosen (ein Jahr oder länger ohne Beschäftigung) lag 2007 noch bei 18.479, und ist inzwischen auf 16.176 im Jahresmittel 2012 gesunken. Damit waren zuletzt 43,9 Prozent aller Arbeitslosen im Land Bremen langzeitarbeitslos (Stadt Bremen: 44,2, Bremerhaven: 42,9).
"Arbeitslosigkeit, vor allem wenn sie über lange Zeit anhält, ist die Hauptursache für Armut", sagte Bürgermeister Böhrnsen. "Der Senat hat große Anstrengungen unternommen, ihr zu begegnen, und wird das auch in Zukunft tun." So habe das Beschäftigungspolitische Aktionsprogramm (BAP) in Bremen zwischen 2007 und 2013 den Schwerpunkt auf den Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit gesetzt und 45 Prozent aller Finanzmittel dafür verwendet. Mit dem Programm "Bremen produktiv und integrativ" sei ab 2008 die öffentliche Beschäftigungsförderung sozialräumlich ausgerichtet worden. Und das BAP 2014 bis 2020 werde "auf das Thema Armutsbekämpfung orientiert und mit der Wirtschaftsförderung verknüpft". Zur Verringerung der Jugendarbeitslosigkeit werde im Laufe dieses Jahres eine Jugendberufsagentur, als einer von mehreren Bausteinen der Ausbildungsgarantie für alle Jugendlichen, eingerichtet.
Verschuldung geht in Bremen zurück, in Bremerhaven steigt sie an
Die Schuldnerquote, also die Zahl der Bremer mit festgestellten Zahlungsstörungen oder Überschuldung, liegt mit 13,85 Prozent deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 9,8 Prozent. Derzeit befinden sich rund 43.000 Haushalte in einer kritischen Verschuldungssituation, davon 9.600 in Bremerhaven. Im Vergleichsjahr des ersten Armuts- und Reichtumsberichts 2007 lag die Quote allerdings noch höher, nämlich bei 15,5 Prozent. Während die Schuldnerquote in der Stadt Bremen seit Jahren zwischen 13 und 14 Prozent leicht rückläufig ist, steigt sie in Bremerhaven beständig an und liegt mit 19,84 Prozent mehr als doppelt so hoch wie im Bund.
Wer auf Transferleistungen (Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe) angewiesen ist, kann eine kostenlose Schuldenberatung in Anspruch nehmen. Im Jahr 2013 haben rund 2.700 Bremerinnen und Bremer dieses Angebot genutzt. "Im Jahr 2012 haben wir darüber hinaus die kostenlose präventive Schuldenberatung für Menschen eingeführt, die noch über eigenes Erwerbseinkommen verfügen", sagte Anja Stahmann. "So verhindern wir in vielen Fällen, dass die Menschen wegen der Überschuldung ihren Arbeitsplatz verlieren." 600 Bremerinnen und Bremer haben dieses Angebot im Jahr 2013 genutzt, "ihre Zahl wächst derzeit noch".
Frühkindliche und schulische Bildung
"Ein guter Bildungsabschluss ist die beste Prävention gegen Armut", sagte Bürgermeister Böhrnsen. Im Land Bremen leben jedoch überdurchschnittlich viele Menschen ohne Schulabschluss oder mit geringem Qualifikationsniveau. Anja Stahmann: "Eine hohe Bildungsbeteiligung schon im Kindergarten ist der Einstieg in den Ausstieg aus der Armut"
So werden heute 45 Prozent aller Kinder unter drei Jahren in einer Einrichtung betreut und professionell gefördert, im Jahr 2008 waren es nur 15 Prozent. Im Jahr 2013 werden damit 68 Prozent aller Zwei- und Dreijährigen sowie 94 Prozent aller drei- bis sechsjährigen Kinder in der Stadt Bremen erreicht. "In manchen Stadtteilen erreichen wir die Eltern noch nicht in dem Maße, in dem wir das für erforderlich halten", sagte Senatorin Stahmann. "Aber gerade heute hat der Senat ein Konzept für den weiteren Ausbau verabschiedet, der genau das berücksichtigt."
Die Schulen konnten zudem die Quote der Schulabbrecher von 9,2 Prozent im Jahr 2007 auf 6,8 Prozent in 2012 senken, und den Anteil der Schüler mit Zugang zu einer Hochschule oder Universität von 46 auf 54 Prozent steigern. Zudem schreitet der Ausbau der Ganztagsschulen voran: 2013 sind im Land Bremen 39 der 90 Grundschulen und 32 der 57 Sekundarstufe-I-Schulen (Klassen fünf bis zehn) Ganztagsschulen.
Zahlreiche Einzelmaßnahmen wie Quartiersbildungszentren, Regionale Beratungs- und Unterstützungszentren (ReBuZ), oder das Projekt "Qualität in multikulturellen Stadtteilen und Schulen" (QUIMS) tragen dazu bei, Bildungsprozesse in benachteiligten Quartieren zu unterstützen. Außerdem finanziert Bremen die Schulsozialarbeiter aus Landesmitteln weiter, für die zunächst der Bund die Kosten getragen hatte.
Wohnen
Angemessener Wohnraum gehört zu den grundlegende Ansprüchen des Menschen, die besonders für Menschen in Armutslagen nicht leicht zu erfüllen sind. Andererseits wohnen in Bremen weitaus mehr Menschen in den eigenen vier Wänden als in anderen Großstädten: So liegt die "Eigentumsquote" in Bremen (38,4 Prozent) und Bremerhaven (29,4) weit über Städten wie Berlin (14,8), Frankfurt am Main (19,2), Hamburg (23,3), Hannover (23,6) oder München (23,8).
In dem "Bündnis für Wohnen" haben sich 40 Akteure zusammen gefunden und Maßnahmen zur Erleichterung der Bautätigkeit und Umsetzung der wohnungspolitischen Ziele vereinbart. Zudem hat der Senat bereits 2012 ein neues Wohnraumförderungsprogramm mit einem Mittelvolumen von 39 Millionen Euro aufgelegt. Dieses wurde so gut angenommen, dass Förderanträge für rund 700 neue Wohnungen gestellt wurden, die nun errichtet werden. In Vorbereitung befindet sich daher ein weiteres Wohnungsbauprogramm. Verbunden mit diesem Förderangebot ist seit 2013 auch eine Sozialwohnungsquote, die verpflichtend mindestens 25 Prozent preisgünstigen Wohnraum vorgibt.
"Zur Begrenzung von Mieterhöhungen hat der Senat eine Verordnung erlassen, mit der Mieterhöhungen auf 15 Prozent innerhalb von drei Jahren begrenzt werden", sagte Bürgermeister Böhrnsen. "Gleichzeitig haben wir uns im Bund erfolgreich für eine Obergrenze bei Neuvermietungen eingesetzt."
Gesundheit
"Menschen in finanzieller Armut sind höheren gesundheitlichen Risikofaktoren ausgesetzt", sagte Senatorin Stahmann. Das zeige sich unter anderem bei der Lebenserwartung. Sie liegt in Bremen bei 76,6 Jahren für Männer und 82,2 Jahren für Frauen, in Bremerhaven bei 74,8 Jahren für Männer und 80,9 für Frauen (Bundesdurchschnitt: Männer: 77,7; Frauen: 82,7). Der Unterschied zwischen den Stadtteilen ist aber erheblich und beträgt im Höchstfall mehr als acht Jahre: So wird ein Mann in Gröpelingen im Schnitt nur 72,2 Jahre alt, während er in Schwachhausen 80,9 Lebensjahre erwarten kann (Horn-Lehe: 79,8; Obervieland: 77,9; Findorff: 76,7; Osterholz: 75,4 Jahre). Eine Frau aus Gröpelingen hat eine Lebenserwartung von 79,5 Jahren, während sie in Schwachhausen 85 Lebensjahre erwarten kann (Horn-Lehe: 83,7, Vahr, Östliche Vorstadt, Huchting: 82,9; alle anderen Stadteile: über 80,9 Jahre).
Für Zuwanderer ohne Aufenthaltsstatus (sogenannte "Papierlose") wurde 2010 die "Humanitäre Sprechstunde" an den Gesundheitsämtern beider Städte eingerichtet. Flüchtlinge erhalten in Bremen kostenlose Beratungen in den Übergangswohnheimen und die Gesundheitskarte der Krankenkasse, mit der sie – anders als in anderen Gemeinden – unmittelbar eine ärztliche Praxis aufsuchen können, ohne bei der Sozialbehörde einen Kostenübernahmeschein ausstellen zu lassen ("Bremer Modell").
Die Maßnahmen zur Früherkennung von gesundheitlichen Problemen im Kindesalter wurden intensiviert, sodass Eltern fast aller Kinder die Untersuchungen in Anspruch nehmen. Zudem wurde das Angebot der Familienhebammen und das Projekt TIPP-TAPP 2012 erweitert, ein sozialraumbezogenes Konzept der Frühprävention, das vorausschauende Beratung für Familien mit Säuglingen und Screening auf jugendhilferelevante Unterstützungsbedarfe verbindet.
Daneben gibt es stadtteilbezogene Maßnahmen, wie den Gesundheitstreffpunkt West und das Frauengesundheitszentrum Tenever.