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Die Senatorin für Justiz und Verfassung

150 Jahre Justizvollzugsanstalt Bremen

Von strenger Einzelhaft zu einem humanen Strafvollzug und Resozialisierung, vom Erbsenzählen zum Kanarienvogel

30.08.2024

"So wie sich die Politik und Gesellschaft draußen vor den Mauern im Laufe der letzten eineinhalb Jahrhunderte gewandelt hat, so hat sich auch der Umgang mit den Gefangenen hinter den Mauern gewandelt", erklärte Justizsenatorin Claudia Schilling bei ihrer Rede beim Festakt anlässlich des 150-jährigen Bestehens der Justizvollzugsanstalt Bremen im Haus der Bürgerschaft.


Festredner Prof. Dr. Frank Arloth, Justizsenatorin Dr. Claudia Schilling, Bürgerschaftspräsidentin Antje Grotheer und Hans-Jürgen Erdtmann, Leiter der JVA Bremen im Haus der Bürgerschaft. Foto: Justizressort
Festredner Prof. Dr. Frank Arloth, Justizsenatorin Dr. Claudia Schilling, Bürgerschaftspräsidentin Antje Grotheer und Hans-Jürgen Erdtmann, Leiter der JVA Bremen im Haus der Bürgerschaft. Foto: Justizressort

Mehr als 120 Gäste aus der gesamten Bundesrepublik waren zu dem Jubiläum angereist. Neben der Senatorin sprach die Präsidentin der Bremischen Bürgerschaft, Antje Grotheer, ein Grußwort. Hans-Jürgen Erdtmann, Leiter der Justizvollzugsanstalt Bremen, gab einen Überblick über die Geschichte und Gegenwart der JVA Bremen und über die Verortung der bremischen Kriminal- und Vollzugspolitik. Prof. Dr. Frank Arloth hielt als ehemaliger langjähriger Justizstaatsekretär Bayerns und Mitherausgeber der "Neue Zeitschrift für Strafrecht" und Chefredakteur der Zeitschrift "Forum Strafvollzug" einen Festvortrag.

Justizsenatorin Claudia Schilling: "Die Bremer Justizvollzugsanstalt, deren 150. Geburtstag wir nun feiern, wurde mit ihren ersten Gebäuden 1874 fertiggestellt nach einer aus heutiger Sicht recht kurzen Bauphase von rund drei Jahren. Oslebshausen war damals kein Ortsteil von Bremen, die JVA lag vor den Toren der Stadt. Erst 1921 wurde das Dorf eingemeindet. Heute liegt die JVA eingebettet in einem Wohngebiet und schon aus diesem Grund erübrigt sich so manche aktuelle Debatte um größere Erweiterungen. In 150 Jahren Bremer Justizvollzugsanstalt ist viel passiert. Nicht nur baulich, personell oder politisch. Vor allem inhaltlich und konzeptionell hat die Anstalt sich im Laufe ihrer Geschichte immer wieder gewandelt: Von strenger Einzelhaft zu einem humanen Strafvollzug. Weiter zu Abschreckung und Disziplinierung durch die Nazis bis hin zu einer Resozialisierung, die heute Mittelpunkt des Alltags in unserer JVA ist."

"Immenser Beitrag zum demokratischen Rechtsstaat"
Die Justizsenatorin weiter: "Ich bin stolz, dass wir in den vergangenen Jahren immer wieder internationalen Besuch hatten von Teams anderer Anstalten, die sich zum Beispiel mit großem Interesse unser Ansprechpartnersystem zwischen Vollzugsbeamtinnen und -beamten und den Insassen angeschaut haben, das in Deutschland einzigartig ist. Ich bin stolz auf die zahlreichen europäischen Projekte wie 'Chance' oder 'Digicor' und auf unsere Freien Träger der Straffälligenhilfe oder den Täter-Opfer-Ausgleich. Ich bin stolz auf unsere Transparenz und nenne da nur den Anstaltsbeirat, Besuche durch die Presse und Hospitationen von Abgeordneten. Und ich bin stolz auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Anstalt. Erst engagierte und kompetente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lassen rechtsstaatliche Institutionen lebendig werden. Daher danke ich allen Beschäftigten der JVA ganz herzlich für ihren Einsatz. Erst durch Sie wird die Justizvollzugsanstalt Bremen mit Leben gefüllt. Sie verdienen unser aller Respekt. Und Sie verdienen unsere ausdrückliche Wertschätzung – was Sie tagtäglich an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr leisten, ist ein immenser Beitrag zu unserem demokratischen Rechtsstaat."

Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Bremen, Hans-Jürgen Erdtmann, ging in seiner Rede auf die bewegte Geschichte der Anstalt ein: "Am 5. Februar 1874 wurde die Anstalt feierlich eröffnet, es waren 110 Einzelzellen für Männer und 40 für Frauen vorhanden. Die unbedingte Einzelhaft war eine enorme psychische Belastung für die Gefangenen. Für Erwachsene dauerte sie drei Jahre, für Jugendlich drei Monate. Erst danach wurde gemeinschaftliche Tagesarbeit angeordnet. Aufgrund der steigenden Anzahl Gefangener wurde die JVA im Laufe der folgenden Jahrzehnte immer wieder erweitert. Es erfolgte ein Anschluss an die Kanalisation, die Heizung wurde mit Gas versorgt und die Anstalt mit Strom."

Der wohl bedeutendste Anstaltsleiter der JVA Bremen war Emil Sonnemann, dessen Amtszeit ab 1919 begann. Erdtmann dazu: "Unter Sonnemann wurde zunächst der Jugendvollzug reformiert: Alle Jugendlichen wurden bis zu drei Stunden am Tag unterrichtet, auf das Trennungsgebot der Jugendlichen von den Erwachsenen wurde streng geachtet. Auch wurde großer Wert auf Leibesübungen gelegt. Der Erziehungsgedanke wurde zum obersten Prinzip im gesamten Vollzug. 1927 wurde im Erwachsenenvollzug ein neues Wirtschaftsgebäude fertig gestellt, was gemeinschaftliches Arbeiten an modernen Maschinen ermöglichte. Sinnlose Arbeiten auf dem Haftraum wie das Sortieren von Erbsen oder Kaffeebohnen wurden abgeschafft. Das System der Einzelhaft wurde aufgegeben, der Gefangene wohnte nur noch in der arbeitsfreien Zeit auf seiner Einzelzelle. Unter Sonnemann wurde der sogenannte Stufenvollzug eingeführt: Je nach Bewährung erfolgt eine Höherstufung mit zusätzlichen Vergünstigungen, beispielsweise die Zulassung eines Kanarienvogels bis hin zum Urlaub."

Eine düstere Zeit erlebte die JVA mit ihren Gefangenen in der Nazi-Zeit, so Erdtmann weiter: "Neuer Direktor wurde das Mitglied der SA und der Bremischen Bürgerschaft Ulrich Wegener. Er war unter anderem Fraktionschef der NSDAP. Unter ihm wurde die Anstalt nach außen gesichert und der Sühnegedanke wurde Hauptbestandteil des Vollzuges. Der Stufenvollzug wurde abgeschafft. In dieser Zeit stieg der Anteil der politischen Gefangenen. Nachdem sie durch die Stadt getrieben worden waren, wurde 1938 eine große Anzahl jüdischer Mitbürger eine Nacht in Oslebshausen inhaftiert. Die Übernachtung soll unter freiem Himmel hinter den Mauern stattgefunden haben. Aus der JVA Bremen wurden 166 Gefangene in Konzentrationslager verlegt."

Eröffnung des Offenen Vollzugs
Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte ein Wiederaufbau zerstörter Gebäudeteile und der Justizvollzug wurde wieder humaner: Der Vollzugsplan für alle Gefangenen hielt Einzug, die Haftsituation wurde unter anderem durch den Bezug von Büchern, Zeitschriften und Geburtstagspakete verbessert, Sportmöglichkeiten und die Eröffnung des Offenen Vollzugs in den 1970er Jahren schufen neue Möglichkeiten für eine gelingende Resozialisierung.

"Auch in der Ausbildung zum Beamten im Allgemeinen Vollzugsdienst gab es im Laufe der Zeit wesentliche Veränderungen", erklärte Erdtmann und weiter: "Neben den Inhalten der zweijährigen Ausbildung, die ergänzt wurde durch die Fächer wie etwa Psychologie, Gruppenarbeit und Vollzugsrecht, hier insbesondere auch die Rechte der Gefangenen, änderten sich auch die Einstellungskriterien: Nicht immer waren Bewerber die erste Wahl, die sich in totalen Institutionen auskannten, wie etwa Zeitsoldaten, sondern es wurden auch vermehrt Bewerber eingestellt, die vorher in der Wirtschaft oder im Handwerk tätig waren. So wandelte sich insgesamt das Berufsbild vom sprichwörtlichen Kerkermeister des Mittelalters zu einer modernen anspruchsvollen Aufgabe als Betreuungsbeamter, die Empathie aber auch Durchsetzungsvermögen verlangt. Seit vielen Jahren arbeiten zunehmend Frauen im Vollzugsdienst – das freut mich und war überfällig. Konflikte unter Gefangenen können oft anders geklärt werden und die Dynamik in den Teams hat sich positiv verändert."

Der Resozialisierung verpflichtet
"Die JVA war und ist immer von Veränderungen geprägt", so Erdtmann abschließend. "Nach dem Bremischen Strafvollzugsgesetz sind alle Berufsfelder, die in der Anstalt tätig sind, dem Ziel der Resozialisierung verpflichtet. Diese Aufgabe wird zunehmend schwieriger, sei es durch individuelle persönliche Beeinträchtigungen bei den Gefangenen durch Sucht, psychische Erkrankungen und Migration und damit verbundene fehlende Sprachkenntnisse oder fehlendes Wissen über die Werte unserer demokratischen Gesellschaft. Mein Dank gilt daher allen im Vollzug tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sie sind hochengagiert und meistern alltäglich die kleinen und großen Herausforderungen. Die vielseitigen Aufgaben werden souverän wahrgenommen. Ihre dienstlichen Leistungen können nicht genug gewürdigt werden. Vielen Dank dafür."

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Stephanie Dehne, Pressesprecherin bei der Senatorin für Justiz und Verfassung, Tel.: (0421) 361-2344, E-Mail: stephanie.dehne@justiz.bremen.de