26.01.2000
Rede von Dr. Konrad Franke
Hundert Sätze über Adolf Endler
Passt der Pate des Preises zum Preisträger? Rudolf Alexander Schröder schreibt, immerhin leicht indigniert, vom "Hang" seines Vaters "zu skurriler Komik". Auch berichtet der Dichter, der als sein gelungenstes Werk einmal den Speisesaal des Ozeandampfers "Bremen" nannte und im Ersten Weltkrieg als Zensor wirkte, in seiner Kindheit habe die Hausnäherin Johanne Thiessen gern "Mutter, der Mann mit dem Koks ist da" gesungen.
Der Bremer Literaturwissenschaftler Wolfgang Emmerich, Autor der gültigen Literaturgeschichte der DDR, nennt Adolf Endler einen "der wichtigsten Lyriker der DDR". „Endlers Witz und Heiterkeit", schreibt Wolfgang Emmerich, "sind einer ebensogroßen Trauer und einem nicht geringen Zorn darüber abgewonnen, dass das System DDR den erträumten Lebensentwurf aus einer Offizialität ins gesellschaftliche Off vertrieben hat."
In der historisch-kritischen Hölderlin-Ausgabe des Bremers Dietrich E. Sattler findet sich im Odenfaszikel I Hölderlins Satz: "Vortreffliche Menschen müssen wohl auch wissen, dass sie es sind...".
Der Name, die Namen: er heißt Adolf Edmond Endler, auch Edmond Amay, Trudka Rumburg, Bubi Blazezak, Bobbi "Bumke" Bergermann und sein Traum wäre "Band-Leader einer Swing Bigband unter Leitung von Eddy Carrera" zu sein. "Adolf" könnte bei dem gelernten Katholiken Endler leichter von Adolf Kolping, dem Vater der wandernden Handwerksgesellen, kommen, als von Adolf H. - der ergriff erst drei Jahre nach Adolf Endlers Geburt die Macht.
Die Titel, hintereinander weg: "Erwacht ohne Furcht", "Die Kinder der Nibelungen", "Weg in die Wische", "In diesem besseren Land", "Georgische Poesie aus acht Jahrhunderten" (zusammen mit Rainer Kirsch), „Das Sandkorn", "Nackt mit Brille", "Zwei Versuche, über Georgien zu erzählen", "Verwirrte klare Botschaften", "Nadelkissen", "Neue Nachrichten vom ‘Nebbich’", "Akte Endler", "Bubi Blazezaks gedenkend", "Ohne Nennung von Gründen", "Schichtenflotz", "Vorbildlich schleimlösend - Nachrichten aus einer Hauptstadt 1972-2008", "Den Tiger reiten", "Citatteria und Zackendulst", "Tarzan am Prenzlauer Berg", "Die Antwort des Poeten", "Die Exzesse Bubi Blazezaks im Fokus des Kalten Krieges", "Warnung vor Utah", "Der Pudding der Apokalypse".
Die Verlage, hintereinander weg: Mitteldeutscher Verlag, Volk und Welt / Kultur und Fortschritt, Wagenbach, Rowohlt, Walter, Reclam, Rotbuch, Unabhängige Verlagsbuchhandlung Ackerstraße, Kiepenheuer, Suhrkamp.
Ein Viertelhundert Bücher in zehn Verlagen.
Im Prolog von "Die Kinder der Nibelungen", 1964 erschienen, schreibt der Autor, zweifellos sich selbst meinend: "ich schreib ruhlos, doch ruhig dieses wilde Stück Zeit / und mein Leben als Lesebuch...".
Endler ist Chronist seines Lebens in seiner Zeit - dazu gehören: der Niederrhein, die Tiefflieger und die Kinderlandverschickung, der praktizierte Antifaschismus - Werbung für die Weltfestspiele der Jugend und Studenten - und die Restauration - Anklage wegen "Staatsgefährdung", der deutsch-deutsche Umzug, das Meliorationsprojekt Wische, Arbeit als Transportarbeiter, am Kran, im Schwefel, das kurze schöne Gefühl, im besseren Deutschland angekommen zu sein, das Johannes-R.-Becher-Institut, die Enttäuschung, der fruchtbare Exkurs ins Georgische, die Wendung des Enttäuschten ins Aktive, erst ins grimmig Phantastische, dann ins Wörtlichnehmen - "Naja, die üblichen kühnen Entwürfe eben" - so könnte Adolf Endler über die Titel seiner Bücher urteilen.
Was Adolf Endler ist: ein Feind der Verwalter, ein Bedroher der Bürokraten, ein Anti-Autoritärer in der DDR. Er ist der älteste der so genannten "mittleren Generation", er gehört nicht eigentlich zur "Sächsischen Dichterschule", ist aber mit diesen Dichterinnen und Dichtern befreundet, erklärt anderen ihr Tun, kritisiert und verteidigt es. Endler ist zudem ein vorzüglicher Selbstinterpret - seiner acht Seiten langen "Erklärenden Notiz" im "Pudding der Apokalypse" kann man kaum etwas hinzufügen.
Das heißt aber auch: wie oft muss sich dieser Autor falsch beurteilt gefühlt haben in den Kritiken und Arbeiten über ihn. Obwohl: einen richtigen Verriss eines Endlerschen Buches - den gibt es bisher nicht.
Was Adolf Endler außerdem ist: erfahrener Teebereiter, langjähriger Raucher, erfolgreicher Pilzsammler. Oder, mehr literarisch: ein großer Übersetzer. Seine Autoren: Okudshawa, Jessenin, Tschikowani, Martynow, Tumanjan, Bashan, Davico, Block, Kavafis, Gerow, Petrarca. Unser Pech, wenn wir mit einigen der Namen kein Werk verbinden.
Endlers Glück: Nachdichtungen waren das Brot, der Adlershofer Wodka, die "Karo"-Zigaretten. Geld und Freude brachten die Theaterstücke für Kinder. Kein Geld, aber Ärger und Ansehen bei den einen und den anderen und manchmal beides zugleich bei denselben waren verbunden mit den Kritiken, mit den Polemiken, mit den Invektiven - solange sie gedruckt wurden.
Endler ist, sagt er, "schrill", "höhnisch", die „Krähe“ am Literaturhimmel, ein "Destruktions-Artist". Er war früher Bewohner, kritischer Wächter, genauer Chronist des Prenzlauer Bergs. Adolf Endler erkennt sofort das Groteske einer Situation, er erkennt die Differenz zwischen Gewolltem, Gemeintem, Gesagtem, Getanem. Endler will Ordnung bewahren im Durcheinander des Falschen, seine Ordnung. Er diszipliniert sich dabei immer wieder auch selbst, unterwirft sich eigenen Ordnungsrufen, spornt sich an, fleißig zu bleiben und zählt gern auf, wie fleißig er ist. 1700 Zeilen hat er 1969 in Georgien nachgedichtet - und wie! - darauf ist Adolf Endler stolz.
Dabei liebt er es, einfach zu schreiben, aufzuhören, wenn er denkt, es ist genug - ihr, meine Leserinnen und Leser habt mich verstanden, denkt euch selbst den Rest. Oder zögert er, ganz klar auszusprechen, was er meint? Ist da nicht diese Lust am Kichern, am Fratzenschneiden, am Irrlichtern? Ist da nicht dieses Nebeneinander von radikalem Ernst und bewusster Kalauerei, dieses extrafeine "Etepetete" und der grelle, blanke Hohn? Muss man so werden als West-Ost-Gänger, als Dichter, der Stalin und Peter Altenberg einander begegnen lassen will, als Opfer einer immer krampfhafter sich aggressivalbern gebärdenden DDR-Bürokratie? Helmut Heissenbüttel schrieb: "Ich kenne kaum ein Werk der unmittelbaren Gegenwartsliteratur, das so genau und so wortökonomisch den Zustand umreißt, in dem wir leben, ohne etwas preiszugeben."
Endler - die Zahl der Bücher täuscht, es gibt eine lange Veröffentlichungslücke, nie bekam eines seiner opera in den DDR-Zeitungen und -Zeitschriften mehr als eine Verlegenheitsrezension - Endler ist notgedrungen Vorleser geworden, Kneipen- und Klubhaus-Besucher geworden - dort hörte man ihm zu und diese Art Öffentlichkeit wirkte zurück, wenn der sorgfältige Studierer der DDR-Presse für seine Lieben Lesefrüchte sammelte, sie einander zuordnete, kommentierte.
Immer schreibt Endler auf jemanden zu, zu jemandem hin, vermeidet aber dabei Jargon und spitzfindige Anspielungen, geht nur einfach und sanft radikal vor, an die Wurzeln eben. Das Aggressive, das Hämische kommt dann von allein, wenn er wieder ein Wort in diesem DDR-Feuerwehrdeutsch erkannt hat, "volkslied-haftes Schaffen" zum Beispiel.
Adolf Endler mag das Platte, das Mediokre von ganzem Herzen nicht, er riecht es und er verabscheut es. Er erkennt aber auch sofort das Richtige, das Wichtige, das Gute: er liebte und begleitete den letzten lebenden deutschen Expressionisten Erich Arendt, er tat alles, um das Werk von Uwe Greßmann zu fördern, er schrieb und sprach immer wieder über Kito Lorenc, über Inge Müller, über Uwe Kolbe - nicht immer mit Erfolg, aber mit wirklicher, kenntnisreicher Zuneigung.
Adolf Endler ist ein Liebhaber des Ausrufezeichens, er schreibt ironisch gegen Festgeschriebenes an und das muss man in Deutschland markieren. Endler ist zäh treu, er ruft: "Hoch die Geige" und "Man betrachte mich als Zigeunergeiger" - aber als Heym und Havemann abgewatscht und bestraft wurden, da protestierte er und wurde prompt aus dem Verband der Schriftsteller ausgeschlossen, zusammen mit acht Kollegen. Wo waren die anderen? Aber das ist eine andere Geschichte.
Was Adolf Endler nicht ist, wäre jetzt zu erklären. Heissenbüttel sagte: "Er ist nicht auf Bedeutung aus". Was nicht heißt: Endler wäre uneitel. Er kennt das Handwerk, die Effektkiste. Er kann eben, sagt sein Freund Rainer Kirsch, ausladende, altmodische Verse schreiben, mit Redundanzen, Floskeln, Kreuzreimen spielen und er weiß es. Seine Übertragungen der georgischen Poesie - ein Jahrhundertwerk, ein wichtiger Beitrag zur Hebung des deutschen Ansehens in Transkaukasien - bleiben, sagt der erfahrene Kirsch, "Geniestücke der Reimkunst".
Aber Endlers Lyrik und Prosa sind spröde, sie schmeicheln sich nicht ein, ein volksliedhafter Ton - bei ihm nicht. "Meine ... Lyrik dürfte ... eigenbrötlerisch wirken" schreibt er einmal. Das ist die halbe Wahrheit. Die ganze Wahrheit über Adolf Endler ist: er hält auf Abstand. Er ist eher der Bildung und Kenntnisse ver-bergende Konservative, der Aristokrat, der "irre Fürst", keiner der sich gemein macht, keiner, der rechtzeitig naiv daherkommen kann. Endler will auch nicht der letzte deutsche Inhaber des surrealistischen Blicks sein, zu dem ihn manche Verehrer machen wollen, weil sie wissen, dass Endler Breton zeitweise mit sich herumtrug und ihn zitieren kann.
Endler ist nicht: ein Marx-Brother, der Swift, der Lichtenberg, der Heine, der Schwitters, der Karl Kraus unserer Zeit und auch Vergleiche mit Eckhard Hen-scheid oder Harry Rowohlt gehen letztlich fehl. Es gehört zu den Vernebelungsbemühungen, zur Mystifizierung des Helden, solche Namen als Vorbilder zu nennen, aber er ist, dank Biographie, Gaben, Fleiß und Absichten, ganz anders, vor allem: Endler ist nie am Ende.
Das klingt blöde, meint aber Ernsthaftes. Endler sagt und schreibt immer wieder, das seien "Papiere aus dem Seesack eines Hundertjährigen", das seien "Nachrichten aus einer Hauptstadt 1972-2008", das alles sei ebenso vorläufig wie sein "Mammutroman" mit dem Titel "Nebbich", der mal aus vier Bänden mit je 736 Seiten, mal aus acht Bänden mit je 2000 Seiten, mal aus 13 Bänden ohne nähere Seitenangabe bestehen soll. Und klingt "Pudding der Apokalypse" etwa endgültig?
Wir waren bei dem, was Adolf Endler nicht ist. Er ist kein Freund von Erik Neutsch, Günter Deicke, Günter Görlich, Eva Strittmatter, Inge von Wangen-heim, Gisela Steineckert, Helmut Preißler - jemand vergessen? Sicher. Das sind Autorinnen und Autoren, die in der DDR offiziell und auch privat weithin hoch geschätzt waren. Ihre Bücher entschieden zu kritisieren, war zu DDR-Zeiten, sagen wir, folgenreich.
Endler kann nicht, will nicht: Kompromisse schließen. Er nannte die DDR-Germanistik eine "dürre Gouvernante", Reiner Kunze eine "Lokomotive", Wolf Biermann (versteckt) einen Geräuschmacher, Heinz Kahlau eine "Zentrifuge", Ernst Jünger eine "Knallerbse", Heiner Müller einen "Irren". So macht man sich Freunde. Endler, ist kein Versöhner, Endler ist ein Künstler, also ein Spalter. Er findet das Falsche und muss es sagen und er sagt es deutlich, zum Mitschreiben - da schreibt er es gleich selber auf, der Ältere, der von draußen kommt, der den Extrakt liebt und die große expressiv geladene Rhetorik dazu. Was Adolf Endler noch nicht ist: altersbedingt hoffnungsvoll. Er scheint, Jens Jessen hat es gesagt, oft hilflos, oft verzweifelt, weil die, die er angreift, kritisiert, nicht auf ihn hören. Eine Geschichte von Johannes Bobrowski heißt "Der Mahner". Der Mahner ist ein Sonntagssäufer, also ein Mensch, der sonntags von Gottesdienst zu Gottesdienst eilt, um einen Schluck Abendmahlswein abzubekommen - der Sonntagssäufer geht 1933 in Königsberg auf die Hitlerleute zu: "Haltet Gottes Gebote, ruft er ihnen entgegen, als sie kommen. Aber das tun die nicht" - schreibt Bobrowski. Nun weiß ich nicht, ob Endler Bobrowski mag und ob er seinen "Mahner" mag - es gab Zeiten, da habe ich, still für mich, Endler als Mahner, als einen solchen vergeblichen Mahner gesehen.
Endler ist nicht wirklich ein Anarchist, er ist ganz bestimmt kein theoretischer Terrorist, ja, er ist überhaupt, trotz seiner klugen Ansätze und Essays, kein Theoretiker. Er nimmt fallweise alles beim Wort und was er dabei feststellt, das reicht ihm. Er mag nicht, ja er hasst Farben wie Rosa und Beige, so Mischfarben eben, er liebt Grün; Wörter wie "Singebewegung" oder "Poetenseminar" kann er nur mit gehobener Stimme sprechen, weil sie für ihn unrein sind.
Reden wir über den Band, das Buch, den Pudding. Endler ist nicht lustig zu lesen und man braucht ein bisschen Zeit, um die Mehrfach-Valenzen zu erkennen - was hat der nur mit seinem Sirren? Was sind das für Liliputaner? Was heißt "cui bono" wörtlich und was bedeuten die Wörter hier?
Es ist eine Auswahl, eine vom Autor selbst kommentierte, unter literarischästhetischen Gesichtspunkten getroffene Auswahl. Es ist nicht der ganze Ender, sondern der Lyrische, der halbe, höchstens - und der verdankt nicht alles "der Presse", der hat selbst gelebt, der lebt. Menschen und Zustände werden wach, Lektüre wird erinnert, der Autor probiert sich in dieser und jener Richtung und Form keineswegs bruchlos aus - wann wird das Klopstocksche "Oh" zum ersten Mal ausgerufen? Und wie verändert sich das Selbstbild von der "Brennnessel" und vom "Sandkorn" hin zum "Resümé" von 1997? Wird Endler ernster in diesen 35 Jahren? Wird er endleresk? Mit welchem Gedicht hebt, wenn, das Alterswerk an?
Das zeitlich zuletzt entstandene Gedicht ruft aus der Badewanne nach dem Handtuch - das ist der Fortschritt - die meisten der vielen, sehr vielen früheren Wohnungen Endlers hatten kein Bad. Das letzte Gedicht des Bandes, 1997 entstanden, weist auf die Heine-Lektüre Endlers im Jahre 1987 hin. Die Wimper hätte auch 1967 in das Buch fallen können.
Das "Sirren" aber war schon 1964, im dritten Gedichtband zu hören gewesen: in "Winter ’43: die Mutter""sirrt" ein Messer aus gefrorenem Schilf. 1971 gilt "dies Sirren", scheint es, für Singen, beunruhigendes - es "sirren" kleine, alte Menschen, warnend, Beobachtung, Überwachung mitteilend, sich, dem Autor? Der weiß es, sagt es aber nicht.
Er ist der Wissende, der Kluge, er nennt uns Beispiele und sagt: "Es gibt Leute, die meine Texte verstehen, und andere, die sie nicht verstehen, diese verachte ich, jene treffe der Blitzstrahl meiner Hochachtung!" Wen meint er? Haben wir den Text verstanden? "Ich laufe als Außenseiter - und dann noch die verkehrte Strecke" sagt der Autor. Adolf Endler - läuft weiter und hört dabei: dies Sirren.