Über Tarifbindung und Digitalisierung haben sich Arbeitnehmerkammer und Senat heute (Dienstag, 17. Dezember) bei einem ersten gemeinsamen Treffen in der neuen Legislaturperiode ausgetauscht. Beide Seiten zeigten sich einig, gemeinsam eine Überarbeitung des Tariftreue- und Vergabegesetz zu prüfen. „Wenn die öffentliche Hand Aufträge vergibt oder Produkte einkauft, müssen die beauftragten Unternehmen auch tariftreu sein“, betonte Peter Kruse, Präsident der Arbeitnehmerkammer Bremen.
Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte sieht das genauso. „Ich will, dass künftig wieder mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Tarifverträgen profitieren“, sagte Bovenschulte und machte deutlich, dass Bremen und Bremerhaven als Kommunen daran ein unmittelbares Interesse hätten. Denn: „Menschen, die anständig bezahlt werden, können von ihrer eigenen Arbeit leben und müssen nicht beim Jobcenter staatliche Unterstützung beantragen.“ Für Bovenschulte ist das auch im Interesse der Arbeitgeber: „Von verbindlichen Standards profitieren nicht nur die Beschäftigten, sondern auch die Unternehmen, die mit guter Qualität und guten Produkten im Wettbewerb bestehen wollen – und nicht mit Dumpinglöhnen.“
Hintergrund der Initiative ist die stark gesunkene Tarifbindung: Im Land Bremen ist der Anteil der nach Tarif Beschäftigten in den vergangenen zehn Jahren von 67 Prozent auf 55 Prozent zurückgegangen. Der Anteil der tarifgebundenen Betriebe ist im selben Zeitraum – trotz guter Konjunktur und Wirtschaftslage – von 39 Prozent auf 17 Prozent gesunken. Dies ist mit ein Grund für die zunehmende Lohnungleichheit, da Tarifbeschäftigte durchschnittlich neun Prozent mehr verdienen als ihre nicht tarifgebundenen Kolleginnen und Kollegen. Außerdem erhalten sie deutlich häufiger ein Weihnachts- und Urlaubsgeld. „Wer also soziale Ungleichheit bekämpfen will, muss die Tarifbindung steigern“, mahnte Peter Kruse.
Bremens Bürgermeister Bovenschulte will deshalb die Hürden senken, um Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären. Also, dass Branchentarifverträge auch für solche Betriebe gelten, die selbst nicht dem Arbeitgeberverband angehören. Als Beispiel nannte er den Tarifvertrag im Hotel- und Gaststättengewerbe. Außerdem will der Bürgermeister den Geltungsbereich des bremischen Tariftreuegesetzes ausweiten: „Wir sollten zum einen prüfen, ob wir im Baugewerbe auch bei Auftragswerten über 5,5 Millionen Euro vom Auftraggeber Tariftreue einfordern können. Und zum anderen, ob wir den Dienstleistungssektor mit einbeziehen können.“
Digitalisierung gestalten
Die Digitalisierung ist auf vielen Ebenen ein Thema für Unternehmen und Beschäftigte. Um neue Prozesse effizient einführen zu können, braucht es das Know-how der Beschäftigten und vor allem deren Motivation, diese Prozesse und die damit verbundenen Veränderungsprozesse mitzugestalten. Es entstehen hohe Qualifizierungsbedarfe, die in den Betrieben organisiert werden müssen.
„Diese Themen wollen wir unter anderem auch in den „Runden Tischen“ bewegen, die wir bereits in der Luft und Raumfahrt umgesetzt haben und Anfang des Jahres im Nahrungs- und Genussmittelbereich wie auch in der Automotive Branche durchführen werden. Nur im Dialog mit den Sozialpartnern, Managements und mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, können wir den Herausforderungen der Digitalisierung und der Fachkräftesicherung begegnen. Dies wollen wir auch in einer branchenübergreifenden Plattform thematisieren“, sagt Kristina Vogt.
Ausbildung forcieren
Das Thema Ausbildung stand ebenfalls auf der Tagesordnung des gemeinsamen Treffens. Denn trotz der im Land Bremen guten konjunkturellen Entwicklung in den vergangenen Jahren ist die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge zurückgegangen – viele junge Menschen gehen bei der Ausbildungssuche leer aus. „Ohne einen Berufsabschluss haben die Jugendlichen kaum eine Chance auf eine dauerhaft existenzsichernde Arbeit“, warnt Peter Kruse. Zudem versäumten die Unternehmen, die nötigen Fachkräfte für die Zukunft auszubilden. „Wir brauchen mehr Ausbildungsplätze vor allem in der betrieblichen Ausbildung. Hier sind die Unternehmen stärker in die Pflicht zu nehmen. Dabei ist auch die Einführung eines Ausbildungsfonds zu prüfen, in den alle Betriebe einzahlen und so gemeinsam die Ausbildung des Nachwuchses sichern“, fordert Kammer-Präsident Kruse. Zudem müssen nach Auffassung der Arbeitnehmerkammer Azubis und Betriebe stärker unterstützt und die Berufsschulen besser ausgestattet werden.
Kristina Vogt: „Wir können es uns in Bremen nicht leisten, dass junge Menschen mit unterdurchschnittlichen Schulabschlüssen nicht in Ausbildung kommen und auf der anderen Seite zum Beispiel dem Handwerk die Auszubildenden fehlen. Wir arbeiten daran, sowohl für diese Schulabsolventen als auch für die ausbildenden Betriebe Unterstützungssysteme zu etablieren. Wir werden akzeptieren müssen, dass nicht alle Schulabsolventen die Ausbildung in der Regelzeit schaffen können. Hier müssen wir in Zukunft flexibler werden. Allerdings müssen wir auch mit den Unternehmen ins Gespräch kommen, die gemessen an ihrer Betriebsgröße zu wenige Ausbildungsplätze vorhalten.“
Innovationscluster Gesundheit und Pflege
Gesundheit und Pflege waren weitere Themen, zu dem sich Arbeitnehmerkammer und Senat ausgetauscht haben. Da die Gesundheitswirtschaft mit gut 61.000 Beschäftigten im Land Bremen ein bedeutender Wirtschaftsfaktor ist, begrüßt die Arbeitnehmerkammer das Vorhaben des Senats, ein neues Innovationscluster zu schaffen. Das Ziel, Bremen zu einer Modellregion für digitale Gesundheitswirtschaft zu machen, unterstützt die Kammer ausdrücklich. Gleichzeitig erinnerte sie in dem Gespräch an die schwierige Situation in der Pflege in den Krankenhäusern. „Wir brauchen mehr Personal in der Pflege. Und hier helfen nicht neue Untergrenzen, sondern eine Ausrichtung am tatsächlichen Bedarf“, betonte Peter Kruse.
Soziale Stadtentwicklung
Ein großes Interesse der Runde bestand zudem an der sozialen Stadtentwicklung. Denn das Armutsrisiko im Land Bremen und seinen Städten Bremen und Bremerhaven ist weiterhin hoch, die soziale Spaltung nimmt zu. Die Arbeitnehmerkammer begrüßt deshalb, dass sich die Koalition mit weiteren Projekten engagieren will. „Bestehende Programme und Projekte müssen verstetigt und langfristig ausgestaltet werden. Dafür muss eine ressortübergreifende Strategie gemeinsam mit den Initiatoren der Armutskonferenz weiterentwickelt und mit den Akteuren in den Quartieren umgesetzt werden“, betont Kruse.
Dr. Maike Schaefer, Bürgermeisterin und Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau, bestätigte die Notwendigkeit für eine gemeinsame Strategie für soziale Stadtentwicklung: „Dafür wollen wir künftig die Sozialwohnungsquote auf 30 Prozent anheben. Wir haben die Kappungsgrenze um weitere fünf Jahre verlängert. Ein viertes Wohnraumförderprogramm wird erarbeitet, in dem Alleinerziehende und größere Familien im Fokus stehen. Die Brebau wurde von der Stadt übernommen, womit wir zusammen mit der Gewoba zwei starke Wohnbaugesellschaften vollständig oder überwiegend in Bremischem Besitz haben. All das sind Instrumente, mit denen wir vor allem den Mietmarkt weiter stabilisieren wollen. Ich bin sehr guter Dinge, dass uns das auch gelingen wird.“
Foto: Senatskanzlei