Landesfrauenbeauftragte Bettina Wilhelm zur aktuellen Situation von Frauen in Bremen
01.04.2020Kaum noch persönliche Beratungen, keine tagesstrukturierenden Angebote mehr, Umstellung auf Online-, Video- und Telefonberatung und viele kreative Ansätze, um mit der Zielgruppe in Kontakt zu bleiben: das sind die Rückmeldungen von rund 20 Frauen- und Mädcheneinrichtungen in Bremen und Bremerhaven auf eine Anfrage der Bremischen Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau (ZGF) zu ihrer aktuellen Situation im Zuge der Corona-Krise. Landesfrauenbeauftragte Bettina Wilhelm erklärt hierzu: „Es handelt sich hier häufig um Angebote in den Stadtteilen, die für die teilnehmenden Frauen von hoher Bedeutung sind, sei es, weil sie ihren Alltag strukturieren, weil es um Unterstützung bei der Alltagsbewältigung geht, um Spracherwerb oder um Qualifizierung und Weiterbildung.“ Sprache und Online-Kompetenz bekämen jetzt eine noch größere Bedeutung. Wilhelm: „Die Hürden für viele Frauen sich Hilfe zu holen sind höher, wenn sie anrufen oder online nachfragen müssen.“ Hinzu komme, dass persönliche Ansprache bei Angeboten im sozialen oder gesundheitlichen Bereich überaus wichtig sei, so Wilhelm weiter, „dass persönliches Miteinander nun für Wochen nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich ist, verstärkt Unsicherheit und Isolationsgefühl bei vielen Frauen.“ Angesichts der derzeit stillgelegten Strukturen sei es wichtiger denn je, das Unterstützungssystem aufrecht zu erhalten, den Frauen- und Mädchen-Einrichtungen finanzielle Sicherheit zu gewährleisten sowie ihre Zielgruppen nun als spezifische Zielgruppen staatlicher Unterstützung in den Blick zu nehmen.
Häusliche Gewalt: Beratungs- und Hilfsangebote bekannt machen
Beratungsstellen und Einrichtungen zum Schutz vor häuslicher Gewalt müssen nun besonders in den Fokus genommen werden. „Die derzeitigen Beschränkungen führen vielfach zu angespannten Situationen und wahrscheinlich auch hier zu mehr häuslicher Gewalt, wie es in anderen Ländern schon festgestellt wurde“, so die Landesfrauenbeauftragte. Noch sei eine erhöhte Nachfrage bei den Beratungsstellen und Frauenhäusern nicht zu verzeichnen, aber die Frauenhäuser seien zu jeder Zeit und so auch jetzt voll belegt. In den kommenden Wochen und auch nach Aufhebung der Beschränkung rechneten die Hilfeeinrichtungen mit verstärkter Nachfrage, so Wilhelm weiter, „diese Sorge müssen wir ernst nehmen“. Hierauf bereite Bremen sich aktuell bereits vor. „Die Frauenhäuser mit ihrer wichtigen Arbeit benötigen jetzt mehr denn je unsere Unterstützung. Wir sind aktuell in der konkreten Vorbereitung um weitere Hilfsmöglichkeiten für schutzbedürftige Frauen und Kinder zu schaffen“, so Claudia Bernhard, Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz. Neben dem tatsächlichen Angebot, müssen Hilfs- und Anlaufstellen für von Gewalt betroffene Frauen und ihre Kinder verstärkt bekannt sein. Wilhelm weist hier auf die Seite www.gewaltgegenfrauen.bremen.de hin, die in mehreren Sprachen und gut verständlich viele Informationen sowie alle Anlauf- und Beratungsstellen zum Thema aufführt.
Alleinerziehende verstärkt unterstützen
Frauen arbeiten im Land Bremen besonders oft Teilzeit, in Minijobs oder befristeten Arbeitsverhältnissen. In der aktuell sehr angespannten Situation in vielen Unternehmen sind sie oft als erste betroffen. Staatliche Unterstützung muss so zugeschnitten werden, dass Frauen hier nicht auch noch das Nachsehen haben: geschlechtsspezifische Entgeltungleichheit darf sich hier nicht reproduzieren. Es muss zudem verhindert werden, dass Frauen ganz leer ausgehen.“ Insbesondere die Gruppe der Alleinerziehenden, zu über 90 Prozent Frauen, müsse mehr denn je in den Blick genommen werden. „In vielen Ein-Eltern-Familien schultert die erwachsene Person die ganze Verantwortung, hier ist die Belastung gerade extrem groß“, so Wilhelm und befürwortet daher die Ausweitung der Not-Kinderbetreuung auch für Alleinerziehende in nicht „systemrelevanten“ Jobs oder Härtefälle. „Viele Alleinerziehende sind nun dringend darauf angewiesen, dass Staat und Arbeitgeber ihre besondere Situation anerkennen. Wenn sie ihre Kinder betreut wissen und zur Arbeit gehen und damit die materielle Existenz ihrer Familie weiterhin sichern können, ist das eine elementare Unterstützung.“ Auch bezahlte Freistellung für Alleinerziehende in Not müsse eine Option sein, für kleinere Betriebe sei hier der Staat gefragt.
Jetzt aber wirklich: Care- und Dienstleistungs-Berufe aufwerten!
„Es zeigt sich mehr denn je, welche Bedeutung Sorge- und Dienstleistungsberufe haben“, so die Landesfrauenbeauftragte weiter, „die Beschäftigten dieser Bereiche sind es, die jetzt Wirtschaft und Gesellschaft stützen. Es ist höchste Zeit, ihre unverzichtbare Arbeit entsprechend zu bezahlen.“ Dankes-Worte, Applaus und eindrucksvolle Social-Media-Aktionen für Beschäftige in den „systemrelevanten“ Berufen tun gut, reichen aber nicht aus, findet die Bettina Wilhelm: „Die Wertschätzung von Care-Berufen wird in der Krise zur gesellschaftlichen Haltung, und dahinter wird es nicht zurückgehen. Nun muss nachgeholt werden, was bislang nur in winzigen und noch ungenügenden Schritten vollzogen wurde: Care- und Dienstleistungs-Berufe müssen endlich eine Aufwertung der Bezahlung und Arbeitsbedingungen erfahren.“
„Systemrelevante“ Branchen im Land Bremen: Frauen deutlich in der Mehrheit
Nach Zahlen der Arbeitnehmerkammer sind in der zweitgrößten Branche des Landes, dem Gesundheitswesen, 23.000 Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Davon sind über 80 Prozent Frauen. Davon arbeiten 14.000 Beschäftigte in Krankenhäusern, 77 Prozent des Personals sind weiblich. In Arztpraxen sind 92 Prozent der Beschäftigten Frauen.
Mehr als 20.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte sind laut Kammer im Land Bremen im Einzelhandel tätig, davon 68 Prozent Frauen. Sie sind von der aktuellen Situation ganz unterschiedlich betroffen. Während die Arbeitsbelastung im Einzelhandel mit Nahrungsmitteln und in Supermärkten und Discountern stark zunimmt, müssen Geschäfte, die keine Güter des täglichen Bedarfs anbieten, schließen. In Supermärkten, Discountern und SB-Warenhäusern sind im Land Bremen 6.400 Menschen beschäftigt, zu 73 Prozent Frauen Hinzu kommen rund 1.900 Minijobberinnen und Minijobber – auch hier sind Frauen mit 62 Prozent in der Überzahl.
Risiko Rollback: tradierte Rollenbilder erstarken
„Die aktuelle Krise birgt das Risiko, tradierte Rollenbilder wieder zu verstärken“, so Bettina Wilhelm abschließend, „Frauen verrichten ohnehin deutlich mehr Sorgearbeit als Männer – das Ausmaß dieser Arbeit und ihre Belastung wird nun noch deutlich zunehmen, sei es zuhause im homeoffice mit zu betreuenden Kindern, sei es im Gesundheitswesen oder als prekär Beschäftigte oder Soloselbstständige. Diese Entwicklung muss in den Fokus genommen und alles dafür getan werden, dass Frauen nicht als Leidtragende aus dieser Krise hervorgehen.“
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