Innenrevision schlägt Zentralisierung der Wirtschaftlichen Jugendhilfe vor
24.11.2023Der wirtschaftliche Schaden aus nicht bearbeiteten Akten in einem Sozialzentrum beläuft sich nach derzeitigem Stand auf rund 1,5 Millionen Euro. Das geht aus dem 56 Seiten umfassenden Bericht der Innenrevision hervor, den die Senatorin für Soziales, Jugend und Integration beauftragt hat und der am 29. November 2023 in der zuständigen Fachdeputation beraten werden soll. Die Unterlagen sind jetzt an die Deputierten versandt worden und damit öffentlich zugänglich.
Ursachen für den wirtschaftlichen Schaden seien neben dem objektiven Personalmangel im Amt und der individuellen Aufgabenwahrnehmung einzelner Personen auch strukturelle Mängel. Die Innenrevision schlägt daher eine Zentralisierung des betroffenen Fachdienstes Wirtschaftliche Jugendhilfe vor. "Um klare Hierarchien zu schaffen und Verantwortlichkeiten eindeutiger zuzuweisen", regt die Innenrevision auch an, in letzter Konsequenz die Trennung von Sozial- und Jugendamt zu prüfen.
Der mit Abstand größte Teil der Schadenssumme, 1,41 Millionen Euro, geht auf ausgebliebene Zahlungen von anderen Jugendämtern zurück, die nicht rechtzeitig angemahnt worden und inzwischen verjährt sind. Zu dem Schaden konnte es nach Auffassung der Innenrevision kommen, weil es in dem Sozialzentrum keine zentrale Stelle gegeben hat, die solche Kostenerstattungen auch dann im Blick hatte, wenn einzelne Beschäftigte erkrankt oder ganz aus dem Dienst ausgeschieden waren. Alle anderen Sozialzentren führten dagegen solche Fälle zentral zusammen, sodass Zahlungs- und Mahnfristen nicht aus dem Blick gerieten. Das Amt für Soziale Dienste hat die Aufarbeitung dieses Teils der Akten noch nicht abgeschlossen, die Schadenshöhe im Revisionsbericht gibt den Stand zum 30. September 2023 wieder.
Kein Schaden für Kinder entstanden
Bereits abgeschlossen ist dagegen die Ermittlung des Schadens aus dem Komplex der Unterhaltsvorschussakten, der mit rund 83.000 Euro beziffert wird. Er resultiert aus 107 Fällen, in denen die Ermittlungen Rückforderungsansprüche des Landes Bremen gegen Empfängerinnen und Empfänger von Unterhaltszahlungen ergeben haben. Es handelt sich durchweg um Fälle, in denen es zu Überzahlungen gekommen ist, weil ein ursprünglich bestehender Anspruch auf Unterhaltsleistungen durch veränderte Lebensverhältnisse ganz oder teilweise entfallen ist. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn der alleinerziehende Elternteil Zahlungen des anderen Elternteils nicht oder nicht rechtzeitig angibt, wenn das Kind umgezogen oder die Eltern wieder zusammengezogen sind. Auch diese Forderungen sind inzwischen verjährt. Die Prüfung habe aber keinen Fall ergeben, in denen ein Schaden für Kinder entstanden ist, weil Unterhaltsansprüche nicht gewährt worden sind.
Aufgearbeitet werden derzeit noch Aktenbestände, die sich in sogenannten Rückstandsordnern gefunden haben. Sie stammen nach Erkenntnissen der Innenrevision überwiegend aus den Jahren 2020 bis 2022. Dabei handelt es sich unter anderem um Dokumente zum Zahlungsverkehr mit Trägern der Jugendhilfe, zum Beispiel für die Aufnahme in einer Jugendhilfeeinrichtung ("Heim"). Deren Leistungen werden in der Regel zunächst pauschal vorab vergütet und zum Jahresende oder zum Abschluss der Maßnahme spitzabgerechnet. In einigen Fällen kommt es dabei zu Rückforderungsansprüchen der Stadt, in anderen Fällen zu Forderungen der Träger. Weil die Forderungen nicht verjährt und derzeit durch Sachbearbeitung beigetrieben werden, ist darauf verzichtet worden, sie aufzusummieren. Nach einer überschlägigen Kalkulation geht es in diesem Bereich um einen mittleren einstelligen Millionenbetrag, der jetzt vom Amt für Soziale Dienste priorisiert bearbeitet wird, damit Verjährungen nicht eintreten.
"Erheblichen Abbau der Rückstände"
Die bisherige Aufarbeitung dieser Fälle durch insgesamt vier zusätzliche Kräfte bewertet die Innenrevision als "sehr zielorientiert". Sie habe für einen "erheblichen Abbau der Rückstände" gesorgt. Wörtlich heißt es in dem Bericht: "Die prioritär verfolgten Fälle drohender Verjährung haben [...] dazu beigetragen, die Stadtgemeinde Bremen vor weiteren finanziellen Schäden zu bewahren."
Als Ursache für den wirtschaftlichen Schaden hat die Innenrevision neben dem objektiven Personalmangel im Wesentlichen die Strukturen im betreffenden Sozialzentrum ausgemacht, die sich über ein Jahrzehnt lang verfestigt hätten. Das habe dazu geführt, dass mehrfache Unterstützungseinsätze aus anderen Sozialzentren zum Aufarbeiten von Rückständen keine dauerhafte Entlastung gebracht hätten. Stattdessen seien Rückstände im Anschluss an solche Maßnahmen schnell wieder angestiegen. Personalmangel sowie der fachliche Ansatz einer akribischen Aktenführung habe den wiederholten Anstieg der Rückstände maßgeblich verursacht. Die hohe Zahl an unbearbeiteten Akten sei dabei den Vorgesetzten nicht gemeldet worden. Es habe im Amt aber auch nicht die Führungsstrukturen gegeben, um eine dauerhafte Lösung der – amtsintern – bekannten und immer wiederkehrenden Probleme durch höhere Leitungsebenen systematisch anzugehen.
In dem betreffenden Sozialzentrum habe sich zudem die Haltung etabliert, dass bei knappen personellen Ressourcen und dem Anstieg der Fallzahlen die "fachlich einwandfreie Leistungsgewährung sowie die Gewährleistung von Auszahlungsansprüchen ... stets im Vordergrund" stehen sollten. In der Folge sei das Forderungsmanagement, also das Einholen finanzieller Forderungen, nachrangig behandelt worden.
Schlussendlich wird die Problemlage auch begünstigt durch die Haltung sowie die weitreichenden Einflussmöglichkeiten des Personalrats. Der behindere etwa die Anstellung formal geringer qualifizierter Kräfte, obwohl das vor Ort zu Entastung führen würde. Von den formal etwas geringer qualifizierten Kräften erwartet die Innenrevision dagegen neben der unmittelbaren Unterstützung eine längerfristige Bindung an den Arbeitsplatz, weil er für sie die Endstufe ihrer beruflichen Laufbahn markiere, während die jetzt eingesetzten Kräfte dort ihren Einstieg in die Karriere hätten, was mit einer höheren Fluktuation einhergehe. Dem Gesetzgeber obliege es, eine Anpassung des Bremischen Personalvertretungsgesetzes zu prüfen, um die Handlungsfähigkeit der fachlich verantwortlichen Personen in den Ämtern zu erweitern.
Innenrevision empfiehlt Neuordnung der Jugendhilfe
Als Konsequenz aus ihrer Prüfung empfiehlt die Innenrevision – nach einer zweijährigen Konsolidierungsphase im betroffenen Sozialzentrum – mittelfristig die Zusammenlegung der Wirtschaftlichen Jugendhilfe aus allen Sozialzentren an zwei Standorten. Personalausfälle könnten so leichter kompensiert werden. Außerdem sei eine einheitliche Arbeitsweise leichter einzuführen und von der Jugendamtsleitung fachlich zu begleiten. Als kurzfristige Maßnahme ist aus Sicht der Innenrevision die Unterstützung durch zusätzliches Personal erforderlich, um sicherzustellen, dass keine weiteren Fälle verjähren.
Für dringend erforderlich erachtet die Innenrevision zudem eine Anpassung der verwendeten Software. Obwohl zum Beispiel technisch grundsätzlich die Möglichkeit bestehe, Bescheide direkt aus dem Fachverfahren auszudrucken, führten Beschränkungen in der Software dazu, dass die Bescheide in einem externen Textverarbeitungssystem erstellt und in das Fachverfahren übertragen werden müssten.
Ansprechpartner für die Medien:
Dr. Bernd Schneider, Pressesprecher bei der Senatorin für Arbeit, Soziales, Jugend und Integration, Tel.: (0421) 361-64152, E-Mail: bernd.schneider@soziales.bremen.de