30.05.2002
Achtung Redaktionen: Am Ende der Meldung erfolgt ein Hinweis auf die Pressekonferenz zur Ausstellungseröffnung
Václav Havel und Johannes Rau eröffnen am 5. Juni gemeinsam die Präsentation im Prager Nationalmuseum – Hans Koschnick und Willi Lemke nehmen an der Eröffnung teil
"SAMIZDAT" – hinter diesem russischen Begriff verbirgt sich eine eigene Welt. Eine, die sich Autoren und Künstler in Osteuropa vor 1989 selbst erschaffen hatten. Sie ermöglichte ihnen, ihre Flugblätter, literarischen Texte und künstlerischen Werke außerhalb der staatlichen Kontrolle zu verbreiten. Die Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen hat mehr als 100.000 dieser Dokumente zusammengetragen. Auf Einladung des Nationalmuseums in Prag kann das in Europa einzigartige Archiv jetzt zum ersten Mal eine Auswahl dieser Dokumente in einem osteuropäischen Land zeigen. Václav Havel, der Präsident der Tschechischen Republik und Bundespräsident Johannes Rau werden am kommenden Mittwoch, dem 5. Juni die einzigartige Präsentation im Prager Nationalmuseum gemeinsam eröffnen.
Václav Havel, Brief von Václav Havel an Gustav Husák, Edice petlice, Praha 1975 |
Beide Präsidenten haben auch die Schirmherrschaft über die Ausstellung übernommen, die vor zwei Jahren zum ersten Mal in der Akademie der Künste zu Berlin gezeigt worden ist. In Prag wird „SAMIZDAT“ bis zum 25. August zu sehen sein. Aus Bremen werden Altbürgermeister Hans Koschnick und Willi Lemke, Senator für Bildung und Wissenschaft, an der Eröffnung der Präsentation teilnehmen.
Die rund 400 Exponate stammen zum größten Teil aus dem Archiv des Bremer Instituts, ergänzt durch Leihgaben aus anderen europäischen Sammlungen. Es sind überwiegend selbstverlegte Schriften, die seinerzeit zirkulierten: Romane und Künstlerbücher, offene Briefe und Flugblätter, auch Gebetbücher und Prozessprotokolle. Zu den Besonderheiten gehören Kassiber aus russischen und polnischen Straflagern, maschinengeschriebene Ausgaben von Alexander Solschenizyns „Archipel Gulag“ oder Fotografien über eine geheimdienstliche Beschattung eines Charta 77-Dissidenten. Aus der ehemaligen DDR werden Bilder und Zeichnungen verbotener Künstler gezeigt. Die Ausstellung ist länderübergreifend konzipiert und ihre Exponate sind nach Themen geordnet. So wird ein vergleichender Blick auf die verschiedenen Kulturen möglich.
Alexander Solženicyn, Im ersten Kreis der Hölle, zweite Hälfte der 1960er Jahre |
„Ich freue mich sehr darüber, dass mit dieser Einladung nach Prag die langjährige Arbeit von Wolfgang Eichwede und seinem Team in besonderer Weise gewürdigt wird“, so Bürgermeister Dr. Henning Scherf. „Ich wünsche der Ausstellung im Nationalmuseum viel Erfolg und bin überzeugt davon, dass sie großen Zuspruch finden wird“. Prof. Dr. Wolfgang Eichwede ist seit ihrer Gründung im Jahr 1982 Leiter der Forschungsstelle Osteuropa.
Seit Mitte der 50er Jahre entwickelten sich in der Sowjetunion, in Polen, in der Tschechoslowakei, in Ungarn und in der DDR eine Reihe von Zirkeln mit dem Ziel, jenseits der staatlichen Zensur einen eigenen, autonomen Kulturbereich zu schaffen. „SAMIZDAT“ bezeichnet diese parallele Kultur, in der sich trotz permanent drohender Verhaftungen Bürgerrechtsgruppen formierten. Zu ihren Aktivitäten gehörte die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen. Schriftsteller ließen ihre Werke im Untergrund zirkulieren, Theatergruppen führten Stücke in privaten Wohnungen auf, halboffizielle Galerien stellten Werke verfemter Künstler aus. In sogenannten „fliegenden Universitäten“ wurde das gelehrt, was seit den 40er Jahren tabuisiert war.
Plakate der Solidarność-Bewegung, Anfang der 1980er Jahre |
Die Forschungsstelle wurde 1982 auf Anregung von Willy Brandt und Hans Koschnick mit der Aufgabe gegründet, laufende Entwicklungen in Kultur und Gesellschaft Zentral- und Osteuropas zu analysieren. Die umfangreichen Bestände der Bremer Forschungsstelle Osteuropa stammen zum Teil aus persönlichen Nachlässen und privaten Sammlungen. Die Dokumente sind auch für die osteuropäischen Länder selbst von großer Bedeutung. Da dort vielfach entsprechende Materialien fehlen, wird das Bremer Institut lebhaft genutzt, um die eigene Geschichte aufzuarbeiten. 1999 hat das Institut den Erich-Brost-Preis der Stadt Danzig erhalten.