Bremer Senat benennt angesichts der Klage vor dem Bundesverfassungsgericht Reformbedarf bei Bund-Länder-Finanzbeziehungen
"Verträge müssen verlässlich sein. Der aktuelle Länderfinanzausgleich wurde mit den Stimmen von Bayern und Hessen verabschiedet und gilt bis Ende 2019. Er ist Ausdruck der Solidarität untereinander und soll für vergleichbare Lebensverhältnisse in ganz Deutschland sorgen. Eine Solidarität, von der im übrigen Bayern jahrzehntelang profitierte und von der sich die beiden Länder aus durchsichtigen Wahlkampfmotiven jetzt entfernen", erklärten Bürgermeister Jens Böhrnsen und Bürgermeisterin Karoline Linnert mit Blick auf die heute von Bayern und Hessen beschlossene Klage zum Länderfinanzausgleich vor dem Bundesverfassungsgericht. "Wir haben gute Argumente, die wir mit Nachdruck in Karlsruhe vertreten werden."
Bürgermeisterin Linnert kritisierte, dass durch die Klage notwendige Verhandlungen über die Bund-Länder-Finanzbeziehungen belastet werden: "Nach dem jahrelangen Entsolidarisierungsgetöse gab es jetzt kein Zurück mehr für die Länderchefs von Bayern und Hessen. Mit der Klage soll von eigenen Problemen abgelenkt werden. Das Warten auf ein Urteil erschwert die notwendigen politischen Verhandlungen."
Bürgermeister Böhrnsen betonte, dass der Länderfinanzausgleich die Unterschiede bei den Steuereinnahmen verringert, aber nicht nivelliere: "Das finanzstärkste Land vor Finanzausgleich bleibt es auch danach. Der Länderfinanzausgleich mit seinem zugrundeliegenden Solidarprinzip ist essentieller Bestandteil unseres föderalen Systems. Im Übrigen", so der Bürgermeister weiter, "sind auf verschiedenen Ministerpräsidentenkonferenzen längst die Weichen für die Vorbereitung eines neuen Länderfinanzausgleiches für die Zeit ab 2020 gestellt. Notwendige Informationen dafür werden schon zusammengetragen."
Mit Blick auf die von der bayerischen Landesregierung immer wieder kritisierten Ausgabebeispiele anderer Länder erklärt Karoline Linnert: "Auch die Bayern wissen genau, dass der Länderfinanzausgleich unterschiedliche Steuereinnahmen angleichen soll. Damit sind keine Pflichten verbunden, die Ausgaben nach den Vorstellungen Bayerns und Hessens zu gestalten. Ob und wie viel Länder für Hochschulen oder Flughäfen ausgeben hat genauso wenig Einfluss auf den Finanzausgleich wie zum Beispiel Milliardenausgaben zur Rettung der bayerischen Landesbank."
Böhrnsen und Linnert sind davon überzeugt, dass nur auf dem Verhandlungswege die Weichen für gerechte Bund-Länder-Finanzbeziehungen gestellt werden können. "Der Länderfinanzausgleich betrifft nur einen relativ kleinen Teil der gesamten Finanzbeziehungen innerhalb der Bundesrepublik. Ein umfassendes Bild der Umverteilung muss alle vertikalen und horizontalen Umverteilungen berücksichtigen. Das gelingt nur in gemeinsamen Bund-Länder-Verhandlungen – und nicht vor dem Bundesverfassungsgericht."
Bei der Diskussion um den Länderfinanzausgleich wird ein wichtiger Aspekt von den Klageländern ausgeblendet: "Wir sind ein starker Wirtschaftsstandort. Durch die bestehenden Regeln bei der Lohnsteuerzerlegung und der Umsatzsteuerverteilung wird Bremen besonders benachteiligt. Obwohl Bremen das zweithöchste Bruttoinlandsprodukt pro Kopf im Ländervergleich hat, bewirkt die ungerechte Steueraufteilung die starke Abhängigkeit vom Länderfinanzausgleich," erläutert Bürgermeister Jens Böhrnsen.
Bürgermeister Böhrnsen und Bürgermeisterin Linnert kündigten an, Bremen werde sich weiter an konstruktiven Verhandlungen über die Finanzbeziehungen beteiligen. "Wir brauchen zukunftsfähige Lösungen, damit alle Bundesländer ihre staatlichen Aufgaben ohne Neuverschuldung stemmen können. Dazu müssen wir möglichst rasch über eine Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen beginnen."
Bremen ist ein starker Wirtschaftsstandort und leistet mit seiner Hafeninfrastruktur einen wichtigen Beitrag für die deutsche Exportwirtschaft. Unsere Hochschulen leisten mit ihrer Forschung und mit der Lehre einen Beitrag weit über die Landesgrenzen hinaus. Durch die bestehenden Regeln bei der Lohnsteuerzerlegung und der Umsatzsteuerverteilung wird Bremen besonders benachteiligt. Obwohl Bremen das zweithöchste Bruttoinlandsprodukt pro Kopf im Ländervergleich hat, bewirkt die ungerechte Steueraufteilung die starke Abhängigkeit vom Länderfinanzausgleich.
1. Bremen steht zum kooperativen Föderalismus und dem bundesstaatlichen Solidarprinzip. Der Finanzausgleich soll gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland sichern. Die unterschiedlichen Bedingungen in den verschiedenen Ländern werden es immer erforderlich machen, die Finanzkraft zwischen den Ländern auszugleichen. Eine „Übernivellierung“ findet im bestehenden Finanzausgleich – auch entgegen anderslautender Behauptungen – nicht statt. Ein Land, das vor dem LFA finanzstark und an der Spitze war, ist es auch hinterher noch.
2. Bremen wird sich gegen die Angriffe der Landesregierungen Bayerns und Hessens aktiv zur Wehr setzen und offensiv eigene Anliegen vertreten. Die Stadtstaaten im Allgemeinen und Bremen im besonderen geraten durch die angekündigte Klageschrift in den Mittelpunkt der Kritik. Wir werden nicht nur die ungerechtfertigten Darlegungen zurückweisen, sondern unsere Argumente für eine umfassendere Neugestaltung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen vortragen.
3. Bremen wird sich weiter dafür einsetzen, dass die besonderen Belastungen der Stadtstaaten ausreichend berücksichtigt werden. Die vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich anerkannte strukturelle Andersartigkeit der Stadtstaaten wird durch die Einwohnerwertung gegenüber den Flächenländern zum Ausdruck gebracht. Bislang beträgt die Einwohnerwertung der Stadtstaaten 135%. Um den tatsächlichen Bedarf abzubilden, fordern wir eine Erhöhung.
4. Bremen erwartet eine angemessene Beteiligung von Bund (und Ländern) an Hafenlasten. Ohne die Bremischen Häfen gäbe es keinen Exportmeister Deutschland. Die Investitionshilfen für die Häfen sind zu gering, um einen angemessenen Ausgleich für die Hafenlasten zu leisten. Die Infrastruktur in den Häfen ist auch eine nationale Aufgabe und muss von allen mitfinanziert werden.
5. Es ist erforderlich, dass die Finanzprobleme deutscher Großstädte gelöst werden. Als Stadtstaat ist Bremen von den (kommunalen) Finanzproblemen deutscher Großstädte in vollem Umfang betroffen, insbesondere von dem extremen Anstieg der Sozialleistungsausgaben. Wir erwarten durch eine
Beteiligung des Bundes an der Eingliederungshilfe und höheren Anteilen an den Kosten der Unterkunft eine Entlastung finanzschwacher Kommunen.
6. Die Finanzkraft der Kommunen muss den Ländern vollständig zugerechnet werden. Als Stadtstaat wissen wir, dass die Bürger nicht zwischen Leistungen des Landes und der Kommunen unterscheiden. Von daher macht es im LFA auch keinen Sinn, die Finanzkraft der Kommunen nur mit 64% zu berücksichtigen. Deshalb muss die Finanzkraft der Kommunen vollständig beim LFA berücksichtigt werden.
7. Bremen erwartet, dass alle Finanzströme zwischen Bund und Ländern in den Blick genommen werden. Es gilt, alle horizontalen und vertikalen Umverteilungsmechanismen in den Blick zu nehmen. Der LFA im engeren Sinne beinhaltet nur einen relativ kleinen Teil der gesamten Finanzbeziehungen innerhalb der Bundesrepublik – ein wahres Bild der Verteilung und Umverteilung ergibt sich erst bei Einbeziehung der Steuerverteilung und weiterer Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen, bspw. im Verkehrsbereich, in der Bildungsinfrastruktur und im Sozialbereich.
8. Bremens Benachteiligung bei der Steuerverteilung muss beseitigt werden. Bei der Steuerverteilung wird die Steuerkraft Bremens wie bei keinem anderen Land durch Lohnsteuerzerlegung und Umsatzsteuerverteilung erheblich reduziert. Dieses muss im Finanzausgleich im engeren Sinne dann wieder aufgefüllt werden.
9. Bremen lehnt Zuschlagsrechte der Länder auf Steuern ab. Steuerwettbewerb zwischen den Ländern schafft mehr Probleme, als er löst. Während finanzschwache Länder zu immer weiteren Steuererhöhungen gezwungen wären, würden finanzstarke Länder ihre Standortbedingungen durch niedrige Steuern immer weiter verbessern. Die Stadtstaaten in ihrer „Insellage“ würden durch einen Steuerwettbewerb mit dem umgebenen Ländern vor besondere Probleme gestellt. Außerdem würde durch unterschiedliche Steuersätze – gerade bei der Lohnsteuer – ein erheblicher bürokratischer Aufwand für die Arbeitgeber und die Finanzverwaltung entstehen.
10. Bremen hält eine Lösung der Altschuldenproblematik der Länder und Kommunen für dringend erforderlich. Aufgrund von unterschiedlichen Schuldenständen und daraus resultierenden Zinsbelastungen haben die Länder sehr unterschiedliche Ausgangslagen, die die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse gefährden. Es ist deshalb erforderlich, eine Lösung für das Problem der Altschulden der Länder und Kommunen zu finden. Wir wollen auch die freiwerdenden Einnahmen aus dem Soli zur Finanzierung eines Altschuldenfonds nutzen.
Bürgermeister Böhrnsen und Bürgermeisterin Linnert