11.02.2000
Mehrstündiges Essen im Rathaus nach unumstößlichem Ritual
Schlichte Seemannskost wird alljährlich am zweiten Freitag im Februar im Bremer Rathaus gereicht. Doch so "einfach" die immerhin sechs Gänge nach altem Brauch auch sind - der Rahmen des wohl ältesten Brudermahls der Welt ist ebenso festlich wie gediegen. Dafür sorgt schon allein das Ambiente - denn einen schöneren Festsaal als die Obere Rathaushalle lässt sich für das Schaffermahl nicht finden. Zum nunmehr 456. Mal treffen sich Kapitäne, Bremer Kaufleute und Reeder mit ihren Gästen aus Politik, Wirtschaft und Kultur zu diesem traditionsreichen Essen. Die rund 280köpfige Herrenrunde - nach Vorschrift im Frack gekleidet - erlebt am 11. Februar ein mehrstündiges Zeremoniell, an dem sich seit Jahrhunderten nichts geändert hat. Als Ehrengast ist in diesem Jahr ist der estnische Staatspräsident Lennart Meri geladen.
Mit dem Ruf "Schaffen, schaffen, unnnen un boven - unnen un boven schaffen" bittet der Verwaltende Vorsteher der Stiftung Haus Seefahrt zu Tisch. Nun erwartet die Gäste neben einer Reihe tiefgründiger und dabei keineswegs humorloser Reden ein Essen, dessen einzelne Gänge in unumstößlicher Reihenfolge aufgetragen werden: Bremer Hühnersuppe, Stockfisch mit Krebstunke, Braunkohl mit Maronen und Pinkel, Kalbsbraten mit Selleriesalat und Katharinenpflaumen, Rigaer Butt, Käse, Früchte und Kaffee. Dazu wird - neben köstlichen Rot- und Weißweinen - nach uraltem Rezept gebrautes Seemannsbier in einem schweren silbernen Humpen gereicht. Uns es gilt keineswegs als unfein, nach jedem Gang das Besteck mit der Serviette zu reinigen. Im Gegenteil: Dies ist Teil der Zeremonie.
Niemand muss hier übrigens sein Essen bezahlen. Dennoch tafelt man nicht zum Selbstzweck. An den Tischen kreist nach alter Sitte ein Salzfass. Dorthinein legen die Gäste unauffällig Geldscheine oder Schecks. Dabei zählt es zu guter hanseatischer Tradition, dass über die Höhe der Zuwendungen Stillschweigen geübt wird. Gleichwohl darf man sicher sein, dass es sich keineswegs um geringe Summen handelt.Das Geld kommt unverzüglich dem Haus Seefahrt zugute - einer Stiftung, die einst als Versorgungsfonds für mittellose Seefahrer und deren Hinterbliebene gegründet wurde.Die Stiftung unterhält nach wie vor den "Seefahrtshof" mit Wohnungen für pensionierte Kapitäne und deren Ehefrauen.
Damen sind in diesem Kreis nach altem Brauch nicht anwesend. Dennoch bleiben die Frauen der Schaffer, Vorsteher und Gäste nicht außen vor. Sie speisen ganz in der Nähe im Kaminsaal des Rathauses. Und an das Essen schließt sich der Seefahrtsball an, zu dem auch etwa 60 Jugendliche eingeladen sind. Am Tag nach dem Schaffermahl wird übrigens die gleiche Speisenfolge beim sogenannten "Prövenermahl" im Seefahrtshof aufgetragen. Hier wird das kommende Schaffermahl vorbereitet. Und hier bietet sich die Gelegenheit für die drei Schaffer des nächsten Jahres, sich in ihr Amt einzuführen.