14.06.2002
Sie läuft noch bis etwa zum 15. Juli 2002 - die Gleisbaustelle der Stadt Bremen und der Bremer Straßenbahn AG (BSAG) am Marktplatz. Wohl kaum einer der Fahrgäste der Straßenbahnlinien 2 und 3 ahnt, dass sie bei der Fahrt durch „Bremens gute Stube“ auf modernsten Hightech-Gleisen rollen, während sich im Untergrund nicht nur manche archäologische Sensationen befinden, sondern auch Schienen aus der Zeit um 1900: Innerhalb von 100 Jahren hat sich die Technik zum Wohle der Fahrgäste und der Anwohner/-innen enorm nach vorn entwickelt!
Hans-Jürgen Franke, Fachbereichsleiter für den Gleisbau bei der BSAG, erläutert die Baustelle bei einem kleinen Rundgang und macht auf ein rostiges Stück Stahl vor dem Rathaus im Untergrund des Bahnkörpers aufmerksam: „Bei der Verlegung von Entwässerungsrohren unter dem vorhandenen Betonsockel haben wir sog. Phoenix-Rillenschienen vom Typ 14a gefunden, die zwischen 1892 und 1909 verwendet wurden. Sie sind bei Gleisarbeiten offenbar zur Stabilisierung des Gleiskörpers quer zu den Schienen eingebaut worden und liegen dort auch heute noch so da. Der Ausbau wäre sehr aufwändig, daher lassen wir sie lieber an Ort und Stelle.“
Zwischen Sandbergen und Containern mit Steinen auf dem Marktplatz ruhen unbemerkt in einer Ecke tatsächlich noch zwei weitere der historischen Stahlstücke, von denen ein Teil für die Nachwelt reserviert - sprich erhalten - werden soll.
Von Sonderprofilen KES und Pflastersteinen aus Porphyr oder Granit
Doch zurück von der Schienen-Archäologie zur modernsten Gleistechnik der Gegenwart: Um den Anwohner/-innen Lärm und Erschütterungen zu ersparen, haben die Stadt Bremen und die BSAG in den letzten Jahren neue Gleisbauformen gewählt, so z. B. begrünte Gleise oder die Asphaltbauweise. Gleich zwei verschiedene Techniken kommen derzeit auf dem Marktplatz zum Einbau: „In Bremen erlebt derzeit ein noch recht neues System der Gleisbauindustrie seine Premiere: KES bedeutet: Kontinuierlich elastisch gelagerte Schiene - diese Bauform trägt der historischen Substanz des Bacchuskellers im Untergrund etwa zwischen dem Unsere Lieben Frauenkirchhof und der Mitte des Rathauses Rechnung“, erläutert Franke. Auf diese Technik ist er sichtbar stolz.
„Eine ganz gewöhnliche Vignolschiene, so wie sie die Eisenbahn verwendet - wir sprechen von der S49; d. h. 49 kg Gewicht per Meter, wird vollständig in einem Stahlkorb eingebettet. Er ist mit dauerelastischem Gummi ausgekleidet. Die Schiene haben wir so montiert, dass sie sich in dem Korb frei bewegen kann“. Und richtig: Wenn eine Straßenbahn darüber fährt, kann man die Bewegung der Schiene sehen, die sich jedoch nicht auf den Unterbau überträgt, sondern vom Gummi abgefedert wird. „Damit werden auch Erschütterungen und Schall aufgefangen und gar nicht erst an die Umgebung abgegeben“.
An einer anderen Stelle ist bereits ein Stück gepflastert. Das helle, bunte und leicht rötliche Porphyr-Kleinpflaster zeigt an dieser Stelle, wie es einmal werden soll. Am Markt wird demnächst ein graues Granit-Kleinpflaster aus schwedischen Steinbrüchen verlegt, so dass später interessante Farbakzente entstehen. Übrigens verfugt eine Spezialfirma das Pflaster mit einem hochwertigen Spezialmörtel.
Eine andere Bauform kommt zwischen der Mitte des Rathauses und dem Grasmarkt vor dem Dom zur Anwendung: Dort verlegen die Gleisbauer die gewohnten Rillenschienen. Auffallend, wie auch beim ersten Abschnitt, ist die porös erscheinende Pflasterbettung. Franke: „Die zahlreichen Poren leiten Feuchtigkeit von der Oberfläche über die neuen Sickeröffnungen in den Untergrund ab. Das erspart uns spätere Pflasterschäden, z. B. bei Frost. Diese speziellen Bauformen sind natürlich aufwändiger, als die Standardtechnik. Trotzdem freuen wir uns darüber, wenn wir Gleisbauer unsere spannende Baustelle im Juli wieder verlassen können, um weitere notwendige Baumaßnahmen beginnen zu können.
Damit das klappt, sind montags bis freitags, auch sonnabends und bei Bedarf sonntags bis zu 30 Bauleute gleichzeitig im Einsatz, und es wird in zwei Schichten gearbeitet“.
An die Kletterpartie der Straßenbahnlinien 2 und 3 beim Befahren der sog. Auflegeweichen am Dom und vor dem Kaufhaus Karstadt haben sich die meisten Passanten mittlerweile gewöhnt.
Damit ist der kleine Rundgang beendet.
Zur Erinnerung...
Im Zuge der Neupflasterung des Marktplatzes nutzen die Stadt Bremen und die Bremer Straßenbahn AG (BSAG) die Gelegenheit, um die abgenutzten Straßenbahnschienen der Linien 2 und 3 zwischen der Sögestraße und dem Grasmarkt - das ist der Platz vor dem Dom - zu erneuern. Dadurch wird eine zweite Baustelle, die in einigen Jahren erforderlich geworden wäre, vermieden. In Anbetracht der historischen und touristischen Bedeutung des Marktplatzes und des Grasmarktes haben die Stadt Bremen und die Bremer Straßenbahn AG eine Bauform ausgewählt, die dem besonderen Umfeld Rechnung tragen. Daher wird der Gleiskörper mit einem Kleinpflaster eingedeckt, welches farblich dem neu gestalteten Marktplatz angeglichen ist. Damit sich sehbehinderte Passanten orientieren können, werden neben dem Gleiskörper Blindenleitstreifen aus Granitplatten eingebaut.
Kurz und knapp
Alter der bisherigen Schienen 15 Jahre (Baujahr 1987)
Bauform Eingepflastertes Gleis
Bauzeit April bis Juli 2002
Kosten in Euro 2,0 Mio €
Länge der Baustelle ca. 250 m
Schienentyp Rillenschiene mit einem Gewicht von 59 kg/m (Typ Ri59) bzw. Vignolschienen vom Typ S49 (49 kg per Meter Gewicht)
Strecke Abschnitt zwischen Sögestraße, Marktplatz und Grasmarkt
Umleitungen. Die Straßenbahnen der Linien 2 und 3 rollen i.d.R. weiter. Kurzfristige Umleitungen über die Westerstraße gibt die BSAG rechtzeitig bekannt.
Ein Stück Geschichte
Der Bremer Marktplatz ist ein Ort der Geschichte. Er war bis in die sechziger Jahre hinein aber auch ein wichtiger Verkehrsknoten, denn dort befand sich die Haupthaltestelle Am Markt der Straßenbahnlinien. Drei von vier Seiten des Marktplatzes (heute eine) wurden im Laufe der Geschichte von Straßenbahnen befahren. Bis zu fünf Strecken gingen von der ehemaligen Gleiskreuzung vor dem Dom aus:
1. Markt - Domsheide - Ostertor (in Betrieb)
2. Markt - Obernstraße - Brill (in Betrieb)
3. Markt - Dom - Domshof - Schüsselkorb (bis 1987)
4. Markt - Börse/Bürgerschaft - Wachtstraße - Große Weserbrücke - Neustadt (bis 1960) bzw. Markt - Markstraße - Balgebrückstraße (bis 1965)
5. Markt - Börse - Schütting - Langenstraße (bis 1916)
Lediglich die Markplatzseite vor der Ratsapotheke war stets straßen-bahnfrei.
Die ersten Schienen wurden 1879 von dem Londoner Pferdebahnkonzern Tramways United Limited auf der Strecke Walle - Bremen Marktplatz - Hastedt verlegt und von zwei Linien bedient - die Vorläufer der Linien 2 und 3. Als Stichstrecke folgte 1880 die Verbindung in die Bremer Neustadt ab Markt über Wachtstraße und Große Weserbrücke. Das zweite Unternehmen - die Bremer Pferdebahn - verlängerte ihre Horner Linie 1883 bis zum Domshof.
Konkurrenz zwang zum Bau unwirtschaftlicher Parallelstrecken
Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts teilten sich also zwei Gesellschaften das Geschäft um den Öffentlichen Personennahverkehr: Die „englische“ Große Bremer Pferdebahn und die Bremer Pferdebahn.
Der Wettbewerb beider Unternehmen zwang zum unwirtschaftlichen Bau von Parallelstrecken. 1889 wollte die Bremer Pferdebahn den Freihafen und das Hohentorsviertel per Schiene erschließen. Da die Große Bremer Pferdebahn bereits durch die Obern- und Hutfilterstraße fuhr, mußte sich die Pferdebahn AG vom Markt aus durch die enge Langenstraße drängeln.
Die neue Strecke schloss am Neuen Rathaus an die Horner Linie an, kreuzte die englischen Linien (2 und 3) und führte über Langenstraße - Am Geeren - Hankenstraße zur Faulenstraße. Die Strecke war z. T. zweigleisig ausgebaut, wobei aufgrund des starken Ladeverkehrs vormittags das eine, nachmittags das andere Gleis genutzt wurde.
Die „Elektrische“ kommt
Zwischen 1890 und 1900 wurden alle Strecken elektrifiziert und die Rösser von der Straßenbahn abgelöst. Die Londoner Tramways United Limited hatte ihre Strecken an die Bremer Straßenbahn AG abgegeben. Den Marktplatz bedienten damals die Linien 1 (Ringbahn über Langenstraße) 2 (Walle - Weserlust), 3 (Holzhafen - Hastedt) 4 (Börse - Horn) und 5 (Arsterdamm - Bürgerpark). Ab 1905 kam noch die Linie 7 nach Woltmershausen hinzu. Liniennummern gab es übrigens erst ab 1908.
1906 bediente die Linie 1 nur noch in einer Richtung die Strecke durch die Langenstraße, in der anderen fuhr sie über die Obernstraße. Der starke Ladeverkehr und die Verhältnisse im Ersten Weltkrieg führten schließlich zur Stilllegung und anschließendem Abbau. Die Ringbahn 1 verkehrte nun ganz in der Obernstraße, bis sie 1942 aufgegeben wurde.
Die Verhältnisse auf dem Marktplatz blieben bis 1960 unverändert. Mit der Inbetriebnahme der neuen Großen Weserbrücke (heute Wilhelm-Kaisen-Brücke) gelangten
die Neustädter Linien nicht mehr über die Wachtstraße, sondern im Zuge Balgebrück- und Marktstraße an der damals noch im Bau befindlichen Bürgerschaft vorbei zum Markt.
Auf dem Weg zur Fußgängerzone
Der verkehrsreiche Marktplatz sollte beruhigt werden - die Haltestelle Markt wurde daher am 03. November 1965 zur Domsheide verlegt. Die damaligen Linien 4 und 15 gelangten von der Domsheide am Dom vorbei zum Domshof und weiter in den Schüsselkorb. Erst 1987 wurde diese Führung zugunsten der Umfahrung über die Violenstraße aufgegeben. Der Marktplatz und der Bereich um den Dom bekamen ihr heutiges Gesicht. Nach wie vor kann man mit den Linien 2 und 3 zwischen Domsheide und Obernstraße Aussicht auf den Marktplatz genießen, denn die Straßenbahn hat Zukunft in Bremen.