Ausstellung beleuchtet dunkles Kapitel in der Geschichte der Finanzverwaltung
26.11.2014Die Ausstellung "Ausplündern und Verwalten" im "Haus des Reichs" (vom 28. November 2014 bis zum 31. März 2015) dokumentiert wie jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger im Nationalsozialismus mit Hilfe der bremischen Finanzverwaltung um ihr Hab und Gut gebracht wurden. Die Finanzverwaltung war aktiv beteiligt an der Enteignung und wirtschaftlichen Vernichtung jüdischer Familien, die in Bremen lebten und über Bremen auswanderten oder deportiert wurden. Der Staat hat sich an ihnen schamlos bereichert, private Unternehmen haben die Ausplünderung als "Dienstleister" unterstützt und ein beachtlicher Teil der Bevölkerung hat davon profitiert. Auf so genannten Judenauktionen wurde der Besitz geflohener, vertriebener oder deportierter jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger öffentlich versteigert.
"Das Handeln der Reichsfinanzverwaltung ist ein erschreckendes Beispiel dafür, wie eine Fachverwaltung zu einem willfährigen Instrument des Unrechtsstaates wurde. Die Finanzbehörde hat eine aktive Rolle beim staatlichen Terror gespielt. Akten über steuerliche Benachteiligungen, Sonderabgaben und Enteignungen belegen die Ausplünderung der deutschen Juden, ihre schrittweise Entrechtung und wirtschaftliche Vernichtung", erklärt Finanzsenatorin Karoline Linnert auf der Pressekonferenz anlässlich der morgigen Eröffnung der Ausstellung. Sie fügt hinzu: "Es ist erschütternd zu verfolgen, wie der NS-Staat die Juden buchstäblich bis auf das letzte Hemd ausplünderte. Vor der physischen Vernichtung stand die finanzielle. Der nationalsozialistische Terror wäre ohne das reibungslose Funktionieren des Verwaltungsapparates so nicht möglich gewesen."
Woher stammen alte Wohnzimmerschränke im Finanzressort?
Die Verwaltung hat sich vor den öffentlichen Versteigerungen häufig vorab bedient. Noch heute finden sich im Keller des Haus des Reichs alte Vitrinen aus dieser Zeit, offenkundig keine Büromöbel, sondern Teile alter Wohn- oder Esszimmereinrichtungen. Wem sie gehörten ist nicht mehr nachvollziehbar - ebenso wenig, wie sie genau in den Besitz der Finanzämter gelangten. Vermutlich stammen sie aus beschlagnahmtem Besitz jüdischer Familien.
In der Ausstellung wird auch eine Schreibmaschine vom Typ "Erika" gezeigt. Über 20 solcher Kofferschreibmaschinen wurden von der bremischen Finanzverwaltung beschlagnahmt und bis in die 50er Jahre in den Finanzämtern benutzt. Nicht nur der Staat, auch viele Bremerinnen und Bremer versorgten sich bei den Judenauktionen mit notwendigen oder auch schönen Dingen. Exemplarisch werden eine Sammeltasse und eine Vase ausgestellt, die bei einer Bremer "Judenauktion" ersteigert wurden.
Neben dem Besitz bremischer Juden kam auch der Hausrat deportierter Juden aus anderen Staaten in der Hansestadt unter den Auktionshammer. In den "Gau Weser-Ems" wurde ab 1941 der Hausrat deportierter Juden transportiert und versteigert. Über 5988 Waggon- und zahlreiche Schiffsladungen mit mehr als 45.000 Kubikmeter Mobiliar landeten bis 1944 vor allem aus Frankreich, Belgien und den Niederlanden im "Gau Weser-Ems".
Viele deutsche Juden wanderten über Bremen aus. Das wenige, was Emigranten bei der Auswanderung mitnehmen durften, war minutiös vorgeschrieben. Im "Merkblatt für die Mitnahme von Umzugsgut durch jüdische Auswanderer deutscher Staatsangehörigkeit und staatenloser Juden vom21. November 1940" wird unter anderem ausgeführt: "Sachen aus Spinnstoff und Schuhwaren werden nur in beschränktem Umfange freigegeben, insbesondere sind im allgemeinen neuwertige Gegenstände dieser Art von der Mitnahme ausgeschlossen." In der Ausstellung ist eine Liste zu sehen, in der die 16 jährige Bremerin Lottie Abraham vor ihrer Ausreise nach England aufzählt, was sie mitnehmen wird. Die Liste über die wenigen zulässigen Habseligkeiten musste vollständig sein. Selbst die Anzahl der Taschentücher und Strümpfe war genehmigungspflichtig.
Eine perfide "Sühneleistung"
Nach Novemberpogromen 1938 wurden die Juden gleich dreifach beraubt: Alle Versicherungsleistungen für zerstörte Geschäfte und Wohnungen vereinnahmte der Staat, die Juden wurden gezwungen die entstandenen Schäden aus eigener Kasse zu begleichen und damit nicht genug wurde auch noch die Judenvermögensabgabe als "Sühneleistung" eingeführt:
Jeder Jude, der ein Vermögen von mehr als 5000 Reichsmark besaß, musste ein Viertel davon abführen. Allein durch diese Abgabe presste das NS-Regime den Juden über eine Milliarde Reichsmark ab. In der Ausstellung ist die Bescheinigung für eine gezahlte Judenvermögensabgabe zu sehen.
"Volks- und staatsfeindliches Vermögen"
Die noch im Original vorhanden Jahresabschlussberichte über den Bremischen Haushalt zeigen den Anstieg der Einnahmen unter anderem aus "Judenauktionen". Die "Einnahmen aus dem beschlagnahmten volks- und staatsfeindlichen Vermögen" stiegen sprunghaft an: 1941 waren es knapp 15.000 Reichsmark, 1942 rund 185.000 Reichsmark.
"Der staatlich legitimierte und organisierte Raubzug führte zu einem der größten Einschnitte in die Besitzverhältnisse in der neueren deutschen Geschichte. Schamlos bereicherte sich der Staat, aber auch Privatpersonen, Unternehmen und Verbände", erklärt Dr. Jaromir Balcar.
Der Historiker ist Leiter des Forschungsprojektes zur "Judenverfolgung und Wiedergutmachung in Bremen" vom Institut für Geschichtswissenschaft der Universität Bremen, das in Kooperation mit dem Finanzressort die Geschichte der NS-Steuerverwaltung und die Wiedergutmachung in Bremen untersuchte. Wesentliche Ergebnisse dieser Forschung sind in dem Buch "Raub von Amts wegen – Zur Rolle von Verwaltung, Wirtschaft und Öffentlichkeit bei der Enteignung und Entschädigung der Juden in Bremen" nachzulesen.
Die Autoren weisen nach, dass die Finanzverwaltung auch in Bremen und Umgebung eine zentrale Rolle bei der finanziellen Ausplünderung der Juden spielten. Unterstützt von Transportunternehmen und Gerichtsvollziehern sorgten die Finanzbeamten dafür, dass der gigantische Raubzug – von dem auch zahllose deutsche "Volksgenossen" profitierten – sehr effizient und weitgehend geräuschlos über die Bühne ging. Kommentar Dr. Balcar: "Sie halfen damit nicht zuletzt, die Spuren jüdischen Lebens in der Hansestadt zu beseitigen, nachdem die Verfolgten ins Ausland geflohen oder in die Vernichtungslager im Osten deportiert worden waren."
Neben der Rolle der Verwaltung in der Zeit des Nationalsozialismus wird in dem Buch der Frage nachgegangen, welche Versuche in Bremen nach 1945 unternommen wurden, um sie für das erlittene Unrecht – soweit überhaupt möglich – zu entschädigen.
Erinnern für die Zukunft
Finanzsenatorin Karoline Linnert dankte allen Beteiligten, die zum Gelingen der Ausstellung beigetragen haben: "Die Historiker der Bremer Uni, die Aktiven in der Geschichtsgruppe der Finanzämter und die Ausstellungsmacher haben eine Auseinandersetzung mit dem was Recht und Unrecht war und ist ermöglicht." Die Ausstellung steht an einem geschichtsträchtigen Ort - in der NS-Zeit war hier der Sitz des Oberfinanzpräsidenten Weser Ems und der Bremer Finanzämter und hier residierte auch der Gauleiter und Reichsstatthalter. Finanzstaatsrat Henning Lühr betont: "Es ist wichtig, dass die Finanzverwaltung ihre eigene Geschichte kennt und sich damit auseinandersetzt. Dies dunkle Kapitel der Verwaltungsgeschichte ist Bestandteil der Ausbildung angehender Bremer Finanzbeamter. Unsere Nachwuchskräfte haben das ´Steuerunrecht` im Rahmen ihres Unterrichts behandelt. Wie hätte ich in der damaligen Situation gehandelt? Diese Frage sollte sich jeder/jede stellen. Die Ausstellung setzt die Aktivitäten zur Öffnung des "Haus des Reichs" als Ort der Auseinandersetzung mit der bremischen Industrie- und Verwaltungsgeschichte fort." Karoline Linnert fügt hinzu: "Ich würde mich freuen, wenn Schulklassen die Gelegenheit nutzen und die Ausstellung besuchen. Sie sensibilisiert gegenüber vielfältigen Formen von Ausgrenzung und Diskriminierung in unserer Gesellschaft."
Die kostenlos zu besichtigende Ausstellung ist vom 28. November 2014 bis zum 31. März 2015 montags - freitags von 9 bis 15 Uhr im "Haus des Reichs", Rudolf-Hilferding-Platz 1, Bremen, geöffnet.
Zum Erscheinen des Buchs "Raub von Amts wegen" findet morgen (Donnerstag, 27.
November 2014) ein öffentliches Symposiums statt: Die vier Autoren werden ab 17 Uhr im "Haus des Reichs" (Sitzungssaal 208) ihre Beiträge vorstellen und zur Diskussion stellen, der Eintritt ist frei.
Foto: Senatorin für Finanzen