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Senatskanzlei

Bremens Anspruch auf bundesstaatliche Hilfe gut begründet

20.03.2007

Senat bringt ergänzenden Schriftsatz für Bundesverfassungsgericht auf den Weg

Der Senat hat heute (20.3.2007) den von Bremens Prozessbevollmächtigten Professor Dr. Johannes Hellermann in enger Zusammenarbeit mit dem Senator für Finanzen, der Senatskanzlei, und dem Senator für Justiz erarbeiteten zweiten ergänzenden Schriftsatz zur Begründung des Bremer Normenkontrollantrags vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verabschiedet.

Bürgermeister Jens Böhrnsen: „Wir haben uns sehr sorgfältig mit dem Karlsruher Urteil zur Berliner Klage auseinandergesetzt und auf alle aufgeworfenen Fragen überzeugende und seriöse Antworten gefunden. Im Ergebnis belegen sie, dass Bremen sich auch nach den verschärften Maßstäben des Verfassungsgerichts nach wie vor unverschuldet in einer extremen Haushaltsnotlage befindet, aus der es sich aus eigener Kraft allein nicht befreien kann. Selbst unter dem neuen Diktum eines ‚ultima ratio-Prinzips’ für bundesstaatliche Hilfeleistungen hat Bremen daher verfassungsgemäß Anspruch auf bundesstaatliche Hilfen durch die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen.“

Der 56-seitige Schriftsatz mit umfänglichen Anlagen liefert weitere Zahlen, Fakten, Vergleichsrechnungen, Belege und Argumente Bremens im Lichte des Verfassungsgerichtsurteils vom 19. Oktober 2006.

  • Bremen erfüllt – anders als Berlin – die vom Gericht aufgestellten Kriterien für das Vorliegen einer extremen Haushaltsnotlage
  • Bremen hat alle Spielräume, seine finanzielle Lage durch eigene Einnahmesteigerungen zu verbessern, bereits weitestgehend ausgeschöpft. Weitere Steuererhöhungen würden im Saldo nicht Bremens Einnahmen erhöhen, sondern eher die Abwanderung von Unternehmen und Einwohnern provozieren.
  • Auch durch erhebliche Vermögensveräußerungen hat Bremen in der Vergangenheit seine Spielräume ausgeschöpft, mögliche Einnahmeverbesserungen zu realisieren. Weitere Vermögensveräußerungen wären auch finanzpolitisch kontraproduktiv.
  • Das konsumtive Ausgaben-Niveau Bremens liegt heute deutlich unter dem des vom Verfassungsgericht als Maßstab herangezogenen Stadtstaats Hamburg. In einzelnen Politikfeldern, in denen Bremens konsumtive Ausgaben derzeit noch darüber liegen, erklärt sich dies nicht durch höhere Standards oder großzügigere Leistungen, sondern durch hohe Sondereffekte in Hamburg und bremen-spezifische Sonderlasten. Zum Teil sind sie auch auslaufende Folge der bremischen Investitionsstrategie.

Indikatoren bestätigen: Bremen befindet sich in einer extremen Haushaltsnotlage

Als einen wichtigen Maßstab zur Beurteilung der Haushaltslage hat das Verfassungsgericht die Kreditfinanzierungsquote herangezogen. Mit 29,4 Prozent lag Bremen dabei im Jahr 2004 mehr als dreimal so hoch wie der Länderdurchschnitt (7,8 Prozent) und auch über der Quote Berlins von (21,1 Prozent)


Zu einem ähnlichen Ergebnis führt der Vergleich der Zins-Steuer-Quote, bei dem Bremen bezogen auf das Jahr 2004 einen nahezu doppelt so hohen Wert (21,3 Prozent) wie der Durchschnitt der Länder (11,2 Prozent) erreicht.


Das Vorliegen einer extremen Haushaltsnotlage für Bremen bestätigt sich auch, wenn man weitere Maßstäbe wie das Finanzierungsdefizit, den Schuldenstand oder die Zinsausgaben in Relation zum Bruttoinlandsprodukt heranzieht.

Bürgermeister Jens Böhrnsen: „Die Zahlen belegen über Bremens verfassungsrechtlichen Anspruch auf weitere Sanierungshilfen hinaus eindrücklich auch die grundsätzliche Reformbedürftigkeit der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern und der zweiten Stufe der Föderalismusreform. Sie zeigen erneut die Diskrepanz zwischen der hohen Wirtschaftskraft Bremens (Platz 2 unter allen Ländern) einerseits und dem offenkundig strukturell unterfinanzierten bremischen Haushalt andererseits.“

Bremen hat seine Verpflichtung zu Eigenanstrengungen erfüllt und weitestgehend ausgereizt

Bremen hat – so Finanzsenator Dr. Ulrich Nußbaum – in der Vergangenheit alle Sanierungsauflagen erfüllt. Darüber ist auch regelmäßig im Finanzplanungsrat berichtet worden: „Wir haben eigene Möglichkeiten der Konsolidierung und der Einnahmesteigerungen durch Steuererhöhungen weitestgehend ausgeschöpft.“ So sei der Gewerbesteuerhebesatz für die Stadtgemeinde Bremen im Jahr 2004 von 420 v.H. auf 440 v.H. erhöht, der Grundsteuerhebesatz stieg von 530 v.H. auf 580 v.H.. Beide Sätze liegen damit deutlich über denen des niedersächsischen Umlands; die in Bremen fällige Grundsteuer liegt bundesweit mit an der Spitze der Großstädte über 500.000 Einwohner. Ein weiteres Drehen an der Steuerschraube zur Verbesserung der Einnahmesituation hätte daher mit großer Wahrscheinlichkeit exakt den umgekehrten Effekt. Statt höherer Einnahmen hätte Bremen weniger Unternehmen und Einwohner.
Nach der im Berliner Urteil dargelegten Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts muss ein Land auch die Möglichkeiten einer Einnahmeverbesserung durch Vermögensveräußerungen ausgeschöpft haben, bevor es den Anspruch auf externe Hilfe berechtigt geltend machen kann.
Senator Dr. Nußbaum: „Dabei ist zu berücksichtigen, dass Bremen diese Möglichkeit schon früher und nachhaltiger als andere Länder genutzt und seit 1994 für insgesamt 2,2 Milliarden Euro Beteiligungen veräußert hat, darunter die Anteile der Stadtwerke, der Entsorgungsbetriebe und dreier Wohnungsbaugesellschaften.“
Gleichwohl war zu prüfen, ob weitere Vermögensveräußerungen zu einer nachhaltigen Verbesserung der Bremer Finanzlage beitragen könnten. „Sowohl bei der BLG wie bei Gewoba, dem Bremer Flughafen oder STÄWOG in Bremerhaven belegen Modellrechnungen und Gegenüberstellungen der derzeit aus den Beteiligungen erzielten Erträge mit den möglichen Zinsentlastungen durch erzielbare Verkaufserlöse, dass weitere Verkäufe im Saldo keine spürbare Entlastung des Bremer Haushalts bringen würden“, stellte der Senator fest.

Trotz vielfältiger Eigenanstrengungen ist es Bremen nach den Worten von Finanzsenator Dr. Nußbaum nicht gelungen, sich aus seiner extremen Haushaltsnotlage zu befreien: „Und dies belegen wir dem Bundesverfassungsgericht mit stichhaltigen Fakten.“ Zugleich machte er deutlich, dass nach einer neuerlichen Entscheidung des Gerichts zugunsten Bremens weitere erforderliche Hilfen mit verschärften Auflagen verbunden sein werden: „Dem müssen wir uns stellen“.

Der Schriftsatz nimmt schließlich auch die vom Verfassungsgericht beigezogene Vergleichsbetrachtung der Pro-Kopfausgaben der Stadtstaaten in verschiedenen Politikfeldern auf. Dabei ergibt sich grundsätzlich, dass Bremen zwar auf den ersten Blick in einigen Feldern über Hamburg liegt, aber bei näherer Prüfung auch in diesem Bereich seine Konsolidierungsmöglichkeiten bereits weitestgehend ausgeschöpft hat. So wird die für Bremen in Sanierungszeitraum bewusst erhöhte und mit Bund und Ländern abgestimmte Investitionsquote aufgrund des von Bürgermeister Jens Böhrnsen eingeleiteten Kurswechsels auf Hamburger Niveau zurückgefahren.

Für die konsumtiven Ausgaben dagegen bestehen - anders als bei Hamburg - rechtliche und faktische Bindungen, die es dem Land gar nicht gestatten, Ausgaben sehr viel weiter zu senken. Bei den Sozialleistungen, bei denen Bremen auf den ersten Blick mit einem Mehr von 80 Mio Euro über dem Niveau Hamburgs liegt, zeigt eine differenzierte Betrachtung: Bremen gewährt nicht etwa großzügigere Hilfen. Die höheren Bremer Ausgaben sind allein dem Umstand geschuldet, dass Bremen im Vergleich aller Großstädte über 500.000 Einwohner die höchste Sozialhilfedichte aufweist. Im Jahr 2005 hatte jeder siebte Bremer Anspruch auf Sozialleistungen. Zum Vergleich: In Hamburg war es jeder neunte.

Der Bremer Senat hat die besonderen Ausgabebelastungen Bremens durch ein dem Schriftsatz beigefügtes Kurzgutachten von Prof. Renzsch ausführlicher untersuchen lassen. Danach ergibt sich, dass Bremen nach Abzug nicht steuerbarer Ausgaben bei allen Ländern nur noch 53% des Länderdurchschnitts für die Erfüllung der „normalen“ Kommunal- und Landesausgaben zur Verfügung hat.

Eine Konsolidierung alleine aus eigener Kraft ausgeschlossen

Anhand von Modellrechnungen belegt Bremen schließlich, dass selbst unter dramatischsten und objektiv unrealistischen Sparvorgaben eine Befreiung aus der extremen Haushaltsnotlage aus eigener Kraft nicht zu leisten ist.

Bremens ehrgeizige Sparpläne sehen derzeit bereits bis zum Jahr 2010 eine Senkung der Primärausgaben - also der Ausgaben ohne Zinsen - auf ein Niveau von 122% des Durchschnitts der Länder vor. Das ist für einen Stadtstaat ausgesprochen wenig. Gegenwärtig (2006) liegt Bremen auf einem Niveau von 133%. In einer Modellrechnung wird nun das niedrige Ausgabenniveau probehalber bis 2015 weiter fortgesetzt. Ergebnis: Selbst dann würde der Schuldenstand weiter um 6 Mrd. Euro steigen, das Finanzierungsdefizit betrüge jedes Jahr 600 Mio. Euro und die verfassungswidrige Überschreitung der Neuverschuldungsgrenze läge bei 200 Mio. Euro jährlich. Die Zins-Steuer-Quote stiege damit über 28%, die Schuldenstandsquote auf 62%. Mit andern Worten: Selbst eine derart rigide Sparpolitik reichte nicht aus, um eine Befreiung aus der extremen Haushaltsnotlage aus eigener Kraft zu erreichen.

Fazit

Unter Darstellung aller Gesichtspunkte und bei Würdigung aller durch das Verfassungsgericht aufgestellten Maßstäbe ergibt sich daher, dass die Freie Hansestadt Bremen „sich in einer absoluten und relativen Haushaltsnotlage extremen Ausmaßes“ befindet, aus der es „auch unter Aufbietung aller ihr - im bundesstaatlichen Vergleich, insbesondere im Vergleich mit dem Stadtstaat Hamburg - möglichen Eigenanstrengungen“ nicht herauskommen kann. „Unter diesen besonderen, im bundesstaatlichen derzeit so einzig in Bremen gegebenen Voraussetzungen ist die Gewährung von bundesstaatlicher Sanierungshilfe in Gestalt von Bundesergänzungszuweisungen ausnahmsweise zulässig und geboten.“

Anhang:
Entwurf des zweiten ergänzenden Schriftsatzes [PDF 813 KB]