06.07.2001
1. Faszination Küstenmeer
Küstennahe Meeresregionen, sogenannte Schelfmeere, erstrecken sich von der Küste bis zu jener untermeerischen Abbruchkante, an der der Kontinentalrand zur Tiefsee hin abbricht. Die Schelfmeere nehmen nur etwa 15 bis 20 Prozent der Fläche des Weltozeans ein. Sie sind sehr fruchtbar. Zum einen, weil sich hier nährstoffreiche Wassermassen aus tieferen Ozeanstockwerken mit dem Oberflächenwasser mischt; zum anderen weil Flüsse und Wind von Land her reichlich Nährstoffe liefern. Kein Wunder also, dass hier 90 Prozent des Weltfischfangs erfolgt. Dies und die ökologische Vielfalt der Lebensräume sowie der damit verbundene Artenreichtum verleihen den Schelfmeeren eine vielfältige Bedeutung u.a. als Ressource für den Menschen.
Schon heute leben zwei Drittel der Weltbevölkerung weniger als 50 Kilometer von der Küste entfernt. Demographische Vorhersagen zeigen einen ansteigenden Trend. Städte- und Hafenbau, Veränderung der Küstenlinien, Fischerei, Meeresbergbau und Energiegewinnung, Abfall, Abwässer und Abgase und – last not least – küstennaher Tourismus haben zu erheblichen Lebensraumerlusten und Artenveränderungen in den Schelfmeeren geführt. Um den zunehmend unkontrolliert ablaufenden Veränderungen und letztlich der Zerstörung mariner Ressourcen Einhalt zu gebieten, um umweltverträgliche Konzepte für eine ausgewogene Koexistenz von Mensch und Natur in dieser dynamischen Meeresregion zu entwickeln, bedarf es fundierter wissenschaftlicher Erkenntnisse als Grundlage für politische Entscheidungen. Das neue "Forschungszentrum Ozeanränder" will dazu beitragen.
2. Langfristige Ziele und Perspektiven des Forschungszentrums
3. Zukunftsorientierte Forschungsfelder
Im DFG-Forschungszentrum "Ozeanränder – Schwerpunkte maringeowissenschaftlicher Forschung im 21. Jahrhundert" werden vier wissenschaftliche Themen bearbeitet: Palöoumwelt, biogeochemische Prozesse, Sedimentationsprozesse, Impaktforschung. Was sich hinter diesen Fachtermini verbirgt, wird im folgenden an ausgewählten Beispielen illustriert.
Schwerpunkt A: Paläoumwelt – Das Klima der Vorzeit
Dieser Forschungsbereich knüpft an Vorarbeiten an, die seit 1986 im Fachbe-reich Geowissenschaften der Universität Bremen laufen. Die Wissenschaftler untersuchen die Umweltprozesse der Vorzeit, weil sie sich davon u.a. bessere Prognosen über unserer Klimazukunft erhoffen. Auf Schiffsexpeditionen neh-men sie Proben vom Meeresboden, in denen die Entwicklungen etwa der Ozeanströmungen, der großen Inlandeise und der Klimaprozesse archiviert sind. Diese Arbeiten werden ergänzt durch die der Modellierer, die die aus dem Sediment gewonnenen Daten in ihre Großrechner eingeben, um Umweltprozesse der Vergangenheit per Rechenmodell nachzuzeichnen. Letztendlich dienen diese Forschungen dazu, treffende Szenarien für unsere Klimazukunft zu entwickeln. Die Kooperation zwischen "Datenlieferanten" und "Erdsystem-Modellierern" soll im neuen Forschungszentrum deutlich intensiviert werden.
Da der Ozean mehr als 70% der Erdoberfläche bedeckt, werden sich die wissenschaftlichen Arbeiten im Forschungsschwerpunkt A zunächst auf sogenannte Hochproduktionsgebiete im Atlantik und im Indischen Ozean konzentrieren. Das sind Gebiete vor der nord- und südwestafrikanischen Küste (Atlantik) sowie vor Oman und Somalia (Indischer Ozean), in denen nährstoffreiche Wassermassen aus der Tiefe an die Oberfläche gelangen. Die Folge: grosse Planktonvorkommen und Fischbestände; sprich ein hochproduktives marines Nahrungsnetz.
Um die Arbeiten voranzutreiben, werden, wie in den anderen Arbeitsberei-chen, zwei Professuren, darunter eine Juniorprofessur eingerichtet (Hier: "Erdsystem-Modellierung" und "Paläo-Ozeanografie").
Schwerpunkt B: Biogeochemie - Der Meeresgrund als Bioreaktor
In den Kreisläufen der Natur spielt Kohlenstoff eine heraus ragende Rolle. So beeinflusst es in Form von Kohlendioxid entscheidend die Entwicklung unseres Klimas. Der Ozean, vor allem die Ozeanränder, spielen im Kohlenstoffkreislauf eine besonders bedeutsame Rolle; allein schon deswegen, weil sich rund 80 % des organischen Kohlenstoffs in den Küstenzonen der Kontinente ansammelt. Von Land gelangen zudem Schwefel, Stickstoff, Eisen, Mangan und andere Elemente, aber auch viele vom Menschen produzierte Schadstoffe in die Randmeere. In der Wassersäule und am Meeresboden werden orga-nische und anorganische Verbindungen von Mikroorganismen wieder in ihre ursprünglichen mineralischen Bestandteile zerlegt, so dass sie erneut für den Stoffkreislauf zur Verfügung stehen.
Zwar hat man in den letzten Jahren erkannt, welch wichtige Rolle Bakterien in diesem Recycling spielen; zwar weiß man heute, dass die Mikroorganismen noch in 700 Metern Tiefe unter dem Meeresboden vorkommen, doch von den vielen Arten sind erst wenige bekannt. Auch ihre Rolle im Bioreaktor am Mee-resboden muss zukünftig eingehender studiert werden. Im neuen Forschungs-zentrum soll auch untersucht werden, welche Funktion die Mikroorganismen im Meer beim Abbau menschlich verursachter Schadstoffe spielen, denn über deren mikrobielle Umwandlung und langfristiges Schicksale ist viel zu wenig bekannt.
Ein weiteres faszinierendes Forschungsfeld für Biogeochemiker bieten Fluidaustritte am Meeresboden. Dort, wo das in die Erdkruste eingedrungene Meerwasser wieder austritt, entwicklen sich einzigartige Ökosysteme, die von den Forschern als natürliche Laboratorien betrachtet werden. Derzeit werden Expeditionen in die Küstenregionen vor Namibia, Angola sowie vor Chile und Peru geplant, um die "Unterwasserlabors" eingehender zu studieren.
Schwerpunkt C: Sedimentation – Dynamik pur am Ozeanrand
Die Ozeanränder sind das Auffangbecken für kontinentales Verwitterungsmaterial. Obwohl ihr Anteil am Weltozean nur knapp ein Fünftel beträgt, nehmen die Randmeere gut 90 Prozent des auf den Kontinenten durch Verwitterung und Erosion entstehenden Materials auf. Welch weit reichende Folgen dies für das Landschaftsbild hat, ist den Satellitenbildern der großen Schwemmfächer von Nil, Mississippi oder Ganges zu entnehmen.
Ebbe und Flut sowie die Meeresströmungen tragen dazu bei, dass ein Teil der Sedimentpartikel unmittelbar an den Abbruchkanten der Kontinentalsockel oder auf dem Kontinentalhang abgelagert wird. Je nach Hangneigung kann dies zu Instabilitäten führen. Ähnlich wie bei Murenabgängen in den Alpen, kommt es dann zu untermeerischen Rutschungen. Diese können auch durch Erd- bzw. Seebeben oder durch instabile Gashydrate im Meeresboden ausge-löst werden. Trübeströme, die sich so entwickeln, können, wenn sie den Kontinentalhang hinab schießen, bis zu eintausend Kilometern zurück legen.
Aus vergangenen Epochen ist bekannt, dass gelegentlich sehr große Hangregionen ins Rutschen kommen. Vor Norwegen bedeckt der Schutt eines solchen untermeerischen Bergrutsches, der sich vor etwa 7.000 Tausend Jahren ereignete, eine Fläche von etwa 80.000 Quadratkilometern. Untermeerische Bergrutsche können sog. Tsunamis auslösen; Wellen also, bis zu 700 kmh schnell werden, in Küstennähe mehrere Zehnermeter Höhe erreichen und in besiedelten Gebieten katastrophale Auswirkungen haben können.
Daher liegt es nahe, die Randbedingungen für solche Sedimentumlagerungen grundlegend zu erkunden. Im Forschungszentrum wird der Schwerpunkt "Sedimentationsprozesse" neu entwickelt und in fünf Teilprojekten bearbeitet. Dabei werden auch die Sedimentumlagerungen im Bereich vor der ostfriesischen Küste studiert. Hier wird der spannenden Frage nachgegangen, wie die Wattsedimente auf den steigenden Meeresspiegels reagieren; d.h., ob sie mit ihm wachsen oder quasi "ausgewaschen" werden.
Schwerpunkt D: Impaktforschung - Mensch und Meer
Wie angemerkt leben etwa zwei Drittel aller Menschen in einem nur gut 50 Kilometer schmalen Küstengürtel. Drei Viertel aller Städte mit mehr als 2,5 Millionen Einwohner sind Küstenstädte. Hafen- und Städtebau, Tourismus und – seewärtig – intensive Fischerei prägen das Bild der Küstenzone.
Vor diesem Hintergrund wird der Ruf nach einem nachhaltigen, umweltorien-tierten Küstenmanagement laut. Dazu müssen die grundlegenden natürlichen Prozesse und die möglichen Auswirkungen menschlich verursachter Verände-rungen im Küstenbereich besser als bisher erforscht werden.
Eine der großen Herausforderungen besteht darin, die Abhängigkeiten zwischen Klimaveränderungen und Küstenentwicklung zu verstehen und in Computermodellen nachzuvollziehen. Aber auch direkte Wirkungen von Hafen- und Städtebaumaßnahmen müssen untersucht werden.
Im Forschungszentrum sind in diesem Zusammenhang drei Projekte geplant. Als Fallstudie soll der Bau des geplanten Tiefwasserhafens "Jade Weser Port" bei Wilhelmshaven wissenschaftlich begleitet werden. Die Baumaßnahmen wirken sich tiefgreifend auf Ab- und Umlagerungsprozesse von Sand und Schlick sowie auf die Gestalt des Meeresbodens im äußeren Jadebusen aus.
In einem zweiten Projekt soll der Schlicktransport in der Wesermündung genauer unter die Lupe genommen werden. Gerade in jüngster Vergangenheit wurden aus Sielhäfen an der nordwestdeutschen Küste immer wieder Klagen über die Verschlickung von Fahrrinnen laut. Daher gilt es zu erforschen, wie Schlickumlagerungen in Abhängigkeit von Gezeitenströmungen, Stürmen oder der Wasserführung auf der Weser beeinflusst werden.
Ein drittes Projekt, das 2004 anlaufen soll und das von großem wissenschaftlichen wie wirtschaftlichem Nutzen ist, wird sich mit der Stabilität untermeeri-scher Hänge befassen.
Dies vor dem Hintergrund zunehmender Erdöl- und Erdgasförderung, Tiefseekabelverlegung und der Abfallentsorgung in diesen Regionen.
Öffentlichkeitsarbeit
Sollten Sie zu diesen oder anderen Aspekten oder zum Themenkreis Küsten-meere/Ozeanränder zukünftig Fragen haben, stehen wir Ihnen gerne zur Ver-fügung. Bitte wenden Sie sich an:
Prof. Gerold Wefer, Direktor des Forschungszentrums,Tel.0421 – 218 – 3389, Fax.0421 – 218 – 3116, mail: gwefer@uni-bremen.de
und
Herrn Albert Gerdes, Öffentlichkeitsarbeit, Tel. 0421 - 218 - 7761, Fax. 0421 218 - 3116, mail: agerdes@marum.de