02.07.2004
Die Debatte über Gewalt in den Schulen beschäftigt auch die Bremer Justiz. An-zeigen von betroffenen Lehrerinnen und Lehrern werden künftig intensiver verfolgt. Justizressort, Generalstaatsanwaltschaft und Staatsanwaltschaft nehmen Kurskorrektur der bisherigen Verfolgungspraxis vor.
Aktueller Anlass sind zwei Verfahren mit folgendem Hintergrund:
In einem Fall hatten vier junge Männer vormittags den Schulhof einer Schule betreten, obwohl sie dort nicht Schüler dieser Schule waren. Dies war von einem Lehrer beobachtet worden. Da die jungen Männer auf ihn einen sehr aggressiven Eindruck machten, sprach er sie an und forderte sie auf, sich ins Sekretariat zu begeben, um sich dort anzumelden, falls sie jemanden an der Schule sprechen möchten. Daraufhin wurde er auf vulgärste Weise beschimpft und im weiteren körperlich angegriffen. Dabei erlitt der zur Tatzeit 59 Jahre alte Lehrer eine durch ärztliches Attest belegte eingeschränkte Beweglichkeit der Halswirbelsäule.
Lehrer und Schulleitung haben Strafantrag gestellt. Nachdem das Verfahren bei der Staatsanwaltschaft zunächst unter Hinweis auf den Privatklageweg eingestellt worden war, ging der betroffenen Lehrer gegen diese Entscheidung vor. Generalstaatsanwältin Prof. Dr. Kirsten Graalmann-Scheerer hob nun die Einstellung auf und wies die Staatsanwaltschaft an, weitere Ermittlungen zum Auflauf der Tat anzustellen.
In einem zweiten Fall hatte ein Lehrer die Mathematikarbeit eines 19-jährigen Schülers als ungenügend bewertet, weil die Korrektur ergeben hatte, dass die Arbeit vom Tischnachbarn abgeschrieben worden war. Der Schüler sei völlig ausgerastet, habe den Lehrer angebrüllt und zuletzt mit einer üblen Beleidigung die Wortattacke beendet. Der Lehrer stellte deswegen Strafantrag. Nachdem auch dieses Verfahren bei der Staatsanwaltschaft zunächst unter Hinweis auf den Privatklageweg eingestellt worden war, hob die Generalstaatsanwältin auch diese Entscheidung auf und wies die Staatsanwaltschaft an, Anklage zu erheben.
Justizstaatsrat Ulrich Mäurer stellte heute klar:
1. Schule ist kein rechtsfreier Raum. Lehrerinnen und Lehrer unterrichten nicht zu ihrem Privatvergnügen. Sie haben Anspruch auf den Schutz des Staates.
2. Der Senator für Justiz und Verfassung, die Generalstaatsanwältin und der Leitende Oberstaatsanwalt sind übereinstimmend der Auffassung, dass bei Beleidigungen und vorsätzlichen Körperverletzungen von Lehrern durch Schüler die Voraussetzungen für eine Verweisung zur Privatklage nicht vorliegen.
Mäuer: „Ich ermutige die betroffenen Lehrerinnen und Lehrer sowie ihre Vorgesetzten, bei gravierenden Vorfällen Anzeige zu erstatten. Das Strafrecht ist stets das letzte Mittel und kann pädagogische Maßnahmen nicht ersetzen. Aber: Stilles Dulden und Wegschauen ist falsch. Von der Staatsanwaltschaft erwarte ich, dass die Anzeigen ernst genommen werden und dass eine schnelle Reaktion erfolgt. Wer Probleme hat, wird bei der Behördenleitung der Staatsanwaltschaft stets Rat und Hilfe finden.“
Zum rechtlichen Hintergrund
Verweisung auf den Privatklageweg
Wegen der in § 374 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) genannten Delikte (Hausfriedensbruch, Beleidigung, Körperverletzung usw.) ist grundsätzlich der Privatklageweg zu beschreiten. Das heißt: Der Verletzte erhebt selbst Klage. Grund: Der Rechtsfriede ist bei diesen Delikten in der Regel nicht über den privaten Bereich hinaus gestört. Nur wenn dies dennoch der Fall ist, erhebt die Staatsanwaltschaft öffentliche Klage (§ 376 StPO). Auch kann die Staatsanwaltschaft in jeder Phase des Privatklageverfahrens die Verfolgung übernehmen, wenn sie dies für geboten hält.
Vor Erhebung der Privatklage ist ein Sühneverfahren durchzuführen (§ 380 StPO). Hierfür sind in Bremen Rechtspfleger bei den Amtsgerichten zuständig. Landesweit werden nicht mehr als etwa zehn Sühneverfahren pro Jahr durchgeführt.
Ein Privatkläger hat ähnlich wie im Zivilprozess Sicherheit zu leisten für die dem Beschuldigten voraussichtlich entstehenden Kosten, § 379 StPO, und einen Gebührenvorschuss auf die Gerichtskosten, § 379a StPO.
Antragsbefugnisse:
Soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt ist der Verletzte antragsberechtigt (§ 77 StGB). Richtet sich die Tat gegen einen öffentlich Bediensteten (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 und 4 Strafgesetzbuch, StGB), ist auch dessen Dienstvorgesetzter antragsbefugt, wenn das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht (§ 77a StGB), z.B. bei Beleidigung, § 194 StGB und Körperverletzung, § 230 StGB.