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Senatskanzlei

Der Kapitän an Bord – kein unumschränkter Befehlshaber

26.02.2002


Neue Publikation zeichnet ein differenziertes Bild des Schiffsführers


„Nimm mich mit Kapitän auf die Reise“ trällerte einst Hans Albers und mit ihm die halbe Nation. So wie in diesem Schlager ist der Kapitän längst Bestandteil der populären Kultur. Er ist in Filmen ebenso gegenwärtig wie in zahllosen Romanen. Mal ist er der „Gütige Alte“, mal der knallharte Herrscher an Bord, der die Mannschaft schikaniert. Welches Stereotyp auch immer angeboten wird: Dahinter steht das Bild des Schiffsführers als unumschränkter Befehlshaber. In seiner Dissertation „Master next God?“ hat jetzt der Historiker Jann Markus Witt die Realität der nordeuropäischen Handelsschiffskapitäne vom 17. bis 19 Jahrhundert ins Auge genommen und Erstaunliches zutage gefördert. Sein Fazit: Wohl besaß der Kapitän weitreichende Kommando- und Disziplinarbefugnisse. Seine Stellung an Bord kann aber keineswegs als absolutistisch oder gar despotisch bezeichnet werden.


Grundlage der umfangreichen Arbeit, die kürzlich in der wissenschaftlichen Schriftenreihe des Deutschen Schiffahrtsmuseums in Bremerhaven erschien, sind Seerechtstexte, Seegerichtsakten und Memoiren. So hat der Autor beispielsweise in allen europäischen Seerechten Bestimmungen über die absolute Befehlsgewalt des Kapitäns und den nötigen Gehorsam der Mannschaft gefunden. Die herausgehobene Stellung des Kapitäns wird in der Bezeichnung „Schiffer nächst Gott“ oder „Master next God“ deutlich. Dies bezieht sich jedoch allein auf seine rechtlich verankerte Verfügungsgewalt über Schiff und Mannschaft während der Reise. Nur eine strenge Bordhierarchie – so der Autor – ermöglichte in allen Situationen koordiniertes Handeln. Und nur so habe die Sicherheit des Schiffes und das Überleben der Besatzung gewährleistet werden können. Überdies: Die meisten Kapitäne hätten ihre Schiffe straff und diszipliniert geführt, ohne sich despotisch zu verhalten. Eine unumschränkte Herrschaftsbefugnis für den Kapitän gab es nicht.


Freilich – häufig kam es zu Probleme und Konflikte zwischen Mannschaft und Kapitänen. Nicht selten lag nach den Recherchen von Jann Markus Witt die Ursache dafür in akuten Missständen an Bord. Der Kapitän besaß die im europäischen Seerecht verankerte Befugnis, Disziplin und Ordnung notfalls auch mit Gewalt durchzusetzen. Dies galt mit wenigen Ausnahmen aber nur auf See und für Vorfälle, die im direkten Zusammenhang mit dem Schiffsbetrieb standen. Es lag grundsätzlich im Ermessen des Schiffsführers, ob er seine Seeleute bestrafte oder ihnen verzieh. Zur sogenannten Verzeihung kam es häufig – jedoch unter der Bedingung, dass das Verhalten der Besatzung während der weiteren Reise tadellos war. So konnte vermutlich häufig eine weitere Eskalation vermieden werden. Kapitän wie Mannschaft konnten sich zudem nach der Reise wegen der Streitigkeiten oder Vorfälle an die zuständigen Gerichte wenden. Keine Frage - das Seerecht setzte dem Verhalten der Kapitäne deutliche Grenzen.


Die großformatige, 344 Seiten umfassende, illustrierte Dissertation „Master next God? Der nordeuropäische Handelsschiffskapitän vom 17. bis 19. Jahrhundert“ ist als Band 57 der „Schriftenreihe des Deutschen Schiffahrtsmuseums“ im Convent Verlag, Hamburg erschienen und kostet 49,90 Euro.