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Senatskanzlei

Bremen fordert sein gutes Recht

31.03.2006

Senat beschließt Klageschrift für Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht

In einer Sondersitzung hat der Senat heute (31. März 2006) den Schriftsatz des Bremer Prozessbevollmächtigten Professor Dr. Johannes Hellermann für das Normenkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht einstimmig verabschiedet und Professor Hellermann gebeten, die Klageschrift für den Senat umgehend beim Verfassungsgericht einzureichen.

Mit der Klage macht Bremen seinen in der Verfassung begründeten Anspruch auf weitere bundesstaatliche Sanierungshilfen geltend. Bund und Länder müssen finanziell in die Lage versetzt werden, die ihnen von der Verfassung zugewiesenen Aufgaben auch wahrzunehmen. Danach kann kein Land in seinem Bestand in Frage gestellt werden, weil es seine Aufgaben wegen einer extremen Haushaltsnotlage nicht mehr erfüllen kann. Vielmehr verlangt das bundesstaatliche Prinzip des deutschen Föderalismus in einer solchen, für eines der Länder existenzbedrohenden Lage gemeinsame Anstrengungen zu deren Überwindung.

Nachdem eine Vielzahl von Initiativen Bremens, weitere Sanierungshilfen durch Verhandlungen und Gespräche mit Bund und Ländern zu erreichen, ohne Erfolg geblieben sind, sieht Bremen sich dazu gezwungen, diese Ansprüche durch eine erneute Klage vor dem Bundesverfassungsgericht geltend zu machen, um seine Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten zu sichern. Dies umso mehr, als der Bund es – entgegen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil aus dem Jahre 1992 – bislang unterlassen hat, gesetzlich zu regeln, worin eine extreme Haushaltsnotlage besteht, durch welche Maßnahmen im Vorfeld verhindert werden soll, dass ein Land in extreme Haushaltsnotlage gerät und wie eine Sanierung eines von extremer Haushaltnotlage betroffenen Landes gemeinsam zu bewältigen ist.

Rechtlich bezieht sich die Klage auf § 11 des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, der nach Rechtsauffassung Bremens mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist, sofern Bremen nicht weitere Sanierungshilfen erhält.

Substanziell zielt die Bremer Klage auf die Feststellung durch das Bundesverfassungsgericht ab, dass

  • die Freie Hansestadt Bremen sich unverschuldet nach wie vor in einer extremen Haushaltsnotlage befindet, aus der sie sich allein aus eigener Kraft nicht befreien kann
  • Bremen daher Anspruch auf Hilfe durch die Solidargemeinschaft von Bund und Ländern zukommt, um zu gewährleisten, dass es seine verfassungsrechtlich gebotenen Aufgaben wahrnehmen kann
  • zur langfristigen und nachhaltigen Stabilisierung des Haushaltes eine Teilentschuldung geboten ist, die insbesondere durch bundesstaatliche Sanierungshilfen in Form von Sonder-Bundesergänzungszuweisungen und ergänzend durch Investitionshilfen gemäß Artikel 104a Abs. 4 des Grundgesetzes zu leisten sind.

Der Senat ist sich bewusst, dass mit der Fortsetzung der Sanierung und dem Anspruch auf weitere Hilfen auch die Verpflichtung zu weiteren und auch weitergehenden Eigenanstrengungen verbunden ist. Der Senat weist in der Klageschrift allerdings auch darauf hin, dass es objektive Grenzen des Sparens gibt. Im Zusammenspiel von ehrgeizigen Eigenanstrengungen und angestrebter Teilentschuldung sieht der Senat dennoch eine realistische und belastbare Perspektive für eine nachhaltige Konsolidierung des Bremer Haushaltes mit dem Etappenziel eines ausgeglichenen Primärhaushaltes im Jahr 2009 und einem verfassungskonformen Haushalt 2012. Nach der Finanzplanung des Senats sollen die Primärausgaben Bremens dank strikter Sparanstrengungen im Jahr 2014 um acht Prozent unter dem Niveau des Jahres 2004 liegen, während die Ausgaben anderer Länder und Gemeinden im gleichen Zeitraum voraussichtlich um ca. 10 Prozent ansteigen dürften.

Dazu muss

  • der Sparkurs der letzten 10 Jahre bei den konsumtiven Ausgaben konsequent fortgeführt werden und nominal auf dem bestehenden Niveau „eingefroren“ werden. In Anbetracht von unvermeidbaren Tarif-, Preis- und Fallzahlsteigerungen bedeutet das real kontinuierliche Reduzierungen
  • bei den Investitionen, die im zurückliegenden Sanierungszeitraum gemäß der Sanierungsvereinbarungen ein überdurchschnittliches Niveau hatten, bis zum Jahr 2012 jährlich eine schrittweise Reduzierung vorgenommen werden. Dabei hält der Senat an der Bedeutung öffentlicher Investitionen für den nach wie vor nötigen Strukturwandel fest. Das bislang hohe Investitionsniveau kann so nicht gehalten werden. Gleichwohl strebt der Senat mit der Klage auch zusätzliche Investitionshilfen nach Art. 104a Abs. 4 GG an. Darüber hinaus sollen - wenn und soweit es möglich ist - weitere konsumtive Einsparungen über das geplante Maß hinaus zu erzielen, diese für wirtschafts- und finanzkraftstärkende Maßnahmen genutzt werden.

Der Finanzrahmen 2004 bis 2014 stellt sich insgesamt folgendermaßen dar:
Entwicklung der Primärausgaben der FHB von 2004 – 2014


Mit diesen Planzahlen erreicht Bremen im Verhältnis zu den beiden anderen Stadtstaaten bei geringeren Primärausgaben je Einwohner eine günstigere Haushaltsstruktur

Mit dem aufgezeigten Sanierungspfad aus Eigenanstrengungen und Teilentschuldung kann und wird es nach fester Überzeugung des Senats gelingen, Bremens extreme Haushaltsnotlage zu überwinden, eine langfristig stabile Zins-Steuer-Quote zu erreichen und ein nachhaltige Finanzpolitik einzuschlagen. Hierdurch allein ist das verfassungsrechtlich gebotene Ziel einer aufgabenadäquaten und stadtstaatenangemessenen Finanzausstattung jedoch noch nicht zu gewährleisten. Die angesichts der bestehenden extremen Haushaltsnotlage für einen gewissen Zeitraum notwendigen außerordentlichen Eigenanstrengungen, durch die Bremen sich deutlich unterhalb der Finanzausstattung vergleichbarer Großstädte, insbesondere der Stadtstaaten, begibt, kann nicht auf alle Zeit fortgeschrieben werden.

Parallel zu der Klage vor dem Verfassungsgericht wird Bremen daher im Rahmen der zweiten Stufe der Föderalismusreform eine Reihe weiterer Gesichtspunkte und Argumente einbringen, um eine nachhaltige Verbesserung seiner Finanzausstattung zu erreichen.

Dazu zählen

  • die die Stadtstaaten systematisch benachteiligende derzeitige Form der Steuerzerlegung, durch die Bremens hohe Wirtschaftskraft sich nicht angemessen in seinen Steuereinnahmen widerspiegelt. Durch die Abschöpfung und Umverteilung von in Bremen erwirtschafteten Einnahmen wird Bremen „arm“ gerechnet. Als faktisches Geberland im Gesamtsystem des Finanzausgleichs wird es zum Nehmerland.
  • Die stadtstaatenspezifische überproportional hohe Belastung bei Sozialleistungen. Während im Bundesdurchschnitt im Jahr 2003 jeder Einwohner rechnerisch 100 Euro für Sozialleistungen aufbringen musste, betrug die Summe je Einwohner in Bremen 278 Euro.
  • Die hohen Investitionen Bremens für die Häfen. Trotz ihrer existenziellen Bedeutung für den Wirtschafts- und Außenhandelsstandort Deutschland beteiligt sich der Bund lediglich mit einem marginalen Anteil an den Gesamtkosten.
  • die Überprüfung, ob die Einwohnerwertung in Höhe von 135 Prozent noch angemessen ist, um der Andersartigkeit der Stadtstaaten hinreichend Rechnung zu tragen

Der Schriftsatz der Bremer Klage beschreibt und würdigt ausführlich auch den bisherigen Sanierungskurs seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1992.

Er stellt insbesondere klar

  • das Bremer Sanierungsprogramm 1994 – 2004 entsprach über den gesamten Zeitraum den Vorgaben des Verfassungsgerichts
  • es beruhte auf einer mit Bund und Ländern geschlossenen Sanierungsvereinbarung, bei deren Abschluss alle Beteiligten die vorgesehenen Maßnahmen einvernehmlich als richtig und geeignet ansahen, um das Sanierungsziel zu erreichen
  • Bremen hat alle damit verbundenen Auflagen, insbesondere eine strikte Begrenzung der Ausgaben erfüllt und übererfüllt und erhebliche Sparanstrengungen im Bereich der konsumtiven Ausgaben und der Personalausgaben realisiert
  • Bremen hat gegenüber Bund und Ländern während des gesamten Zeitraums regelmäßig und zeitnah über Fortschritte und Fortgang der Sanierung umfassend berichtet und Rechenschaft abgelegt
  • Bremen ist durch den Finanzplanungsrat dabei regelmäßig bestätigt worden, dass es allen Verpflichtungen umfänglich nachgekommen ist
  • das Bremer Sanierungsprogramm wurde damit von vornherein und über den gesamten Zeitraum in gemeinsamer bundesstaatlicher Verantwortung umgesetzt
  • dass das Sanierungsziel zum Ende des Sanierungszeitraums noch nicht erreicht werden konnte und Bremen sich nach wie vor in extremer Haushaltsnotlage befindet, hat seine entscheidende Ursache darin, dass die staatlichen und von Bremen allein nur unmaßgeblich zu beeinflussenden Einnahmen weit hinter den gemeinsam zugrunde gelegten Prognosen und Modellrechnungen zurückgeblieben sind. Während durch das Bundesfinanzministerium 1998 für Bremen noch Steuereinnahmen für das Jahr 2005 in Höhe von 3,8 Milliarden prognostiziert wurden, lagen die tatsächlichen Einnahmen nur bei knapp 3,1 Milliarden. Hätte – parallel zu den verabredeten und erfolgreichen Sparanstrengungen Bremens – auch die Einnahmeseite sich so entwickelt, wie gemeinsam unterstellt, hätte Bremen die extreme Haushaltsnotlage heute überwunden.