Wenn die Britinnen und Briten die Europäische Datenschutzgrundverordnung genauer gelesen hätten, die ab 25. Mai 2018 überall in der Europäischen Union gelten wird, hätten sie wahrscheinlich mit deutlicher Mehrheit gegen den Brexit gestimmt. Die Datenschutzgrundverordnung zeigt nämlich, dass die Europäische Union auch ein Raum der Menschenrechte ist, in dem die Europäische Grundrechtecharta und damit auch das Grundrecht auf Datenschutz gilt.
Auf der Bundesebene wird diese Errungenschaft eines einheitlichen Grundrechtsschutzes in Europa gerade durch den Versuch konterkariert, die wenigen verbliebenen Konkretisierungsspielräume auf mitgliedstaatlicher Ebene zu nutzen, um Betroffenenrechte auf Information, Auskunft und Widerspruch zu reduzieren und Versicherungswirtschaft und Auskunfteien gesetzliche Datenverarbeitungserlaubnisse zu verschaffen, die das Schutzniveau der europäischen Verordnung unterschreiten. Dies kritisiert die bremische Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Dr. Imke Sommer, anlässlich der Veröffentlichung ihrer Jahresberichte zum Datenschutz und zur Informationsfreiheit: "Leider ermöglicht die Datenschutzgrundverordnung den nationalen Gesetzgebern in einigen Bereichen Regelungen unterhalb des europäischen Schutzniveaus. Dies nutzt der Kabinettsentwurf zur Umsetzung der Datenschutzgrundverordnung in exzessiver Weise, was vom Bundesrat heute wahrscheinlich vehement zurückgewiesen wird. Können ist nämlich nicht Müssen! Beim bremischen Gesetzgeber setze ich darauf, dass er seinen schon eingeschlagenen europafreundlichen Weg weiter geht und in dem jetzt anstehenden Umsetzungsprozess ein grundrechtsgewogenes bremisches Profil der informationellen Selbstbestimmung entwickelt!"
Wie wichtig es in Zeiten der überall angehäuften Massen personenbezogener Daten ist, sich der informationellen Fremdbestimmung der Menschen entgegenzustellen, zeigt der 39. Jahresbericht zum Datenschutz: Die Zahl der bei der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit eingegangenen Eingaben, die nicht schon am Telefon erledigt werden konnten, stieg in den letzten Jahren kontinuierlich an und lag im Jahr 2016 bei fast einer Eingabe pro Arbeitstag (247). Davon betrafen 49 den Beschäftigtendatenschutz, also im Durchschnitt fast eine Eingabe pro Woche. Im Vergleich zum Jahr 2012 (29) ist die Zahl der Eingaben in diesem Bereich damit um 2/5 angestiegen. Allein im letzten Jahr waren darunter acht Fälle, in denen sich Beschäftigte ausnahmslos zu Recht über Videoüberwachungen beschwerten. Diese Situation bietet zu allererst Anlass dazu, noch einmal zu betonen, dass die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit nach ausdrücklicher Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts ihre Informantinnen und Informanten
geheimhalten darf. Auch diejenigen, die sich aus Angst vor Nachteilen bislang noch nicht mit Beschwerden über Datenschutzverstöße im Beschäftigungsverhältnis an die Landesbeauftragte gewandt haben, können ihre Beschwerden also unbesorgt äußern.
Wenn ein Arbeitgeber versucht, sich bei dem Arzt des Beschäftigten über Details der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und über dessen Gesundheitszustand zu erkundigen, wenn alle Internetaktivitäten jedes Beschäftigten gespeichert werden, wenn Beschäftigte in Restaurants, Auszubildende in Großraumbüros, andere Beschäftigte an ihren Arbeitsplätzen und Toilettenzugänge in Geschäftsräumen pausenlos per Videokamera beobachtet werden, dann wird deutlich, dass Beschäftigtendaten nicht nur durch die Datengelüste der "Wirtschaft 4.0." gefährdet sind. Es ist also höchste Zeit für ein wirksames Beschäftigtendatenschutzgesetz, dessen Erlass die Datenschutzgrundverordnung den nationalen Gesetzgebern nahelegt.
Das Resumé der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit zur Situation des Datenschutzes in Bremen, im Bund und in Europa lautet deshalb: "Die Datenschutzgrundverordnung bietet ein gutes Fundament für die Baustellen der Gesetzgeber in Europa. Leider wird auf Bundesebene gerade darüber diskutiert, einige Gebäudeteile neben dem Fundament zu errichten und bei anderen das Fundament zu beschädigen. Das muss schief gehen und wird spätestens vom Europäischen Gerichtshof zurückgewiesen werden. Der bremische Gesetzgeber kann und wird viel klüger sein und dafür sorgen, dass der Sockel unter den Bremer Stadtmusikanten unbeschädigt bleibt und das bremische Profil der informationellen Selbstbestimmung sicher trägt."
Der zeitgleich mit dem Datenschutzbericht veröffentlichte Informationsfreiheitsbericht zeigt, dass es auch im elften Jahr des Bremer Informationsfreiheitsgesetzes für die bremischen öffentlichen Stellen noch einiges zu tun gibt und Wünsche an den Gesetzgeber offen geblieben sind.
Kontakt/Rückfragen: Dr. Imke Sommer, Telefon (0421) 361-2010