Geflüchtete Frauen und Mädchen brauchen besondere Angebote zu ihrer Integration, sie müssen als spezifische Zielgruppe gesehen und Maßnahmen auf sie zugeschnitten werden – das ist der dringende Appell aus dem zweijährigen Projekt „Herausforderung Frauen und Flucht: Gemeinsam Antworten finden“ der Bremischen Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau (ZGF), das heute (13. September 2018) mit einer Fachtagung seinen Abschluss findet. Sprachkurse, Sprachmittlungs- und Dolmetschdienste müssen ausreichend vorhanden, qualifiziert und finanziert sein, und Kinderbetreuung ist bei allen Angeboten für geflüchtete Frauen unerlässlich. Diese Grundlagen sind Voraussetzung, dass Integration beginnen kann – darüber waren sich rund 120 Fachleute aus Einrichtungen der Flüchtlingshilfe und anderen Institutionen sowie geflüchtete Frauen einig. Sie alle waren heute im Kwadrat zusammengekommen, um die Ergebnisse des ZGF-Projekts zu bewerten, gemeinsam Bilanz zu ziehen und Perspektiven zu entwickeln.
„38 Prozent der geflüchteten Menschen in Bremen sind Frauen. Das Integrationskonzept des Senats hat sie deshalb ausdrücklich als Zielgruppe benannt. Sie sind interessiert und hoch motiviert – sie wollen lernen, arbeiten und teilhaben. Die heutige Fachtagung zeigt Wege auf, wie das gelingen kann“, erklärt Anja Stahmann, Senatorin für Soziales, Jugend, Frauen, Integration und Sport. „Ich werde mich im Senat weiterhin dafür stark machen, dass Frauen und Mädchen als besonders zu berücksichtigende Gruppe in unserem Fokus bleiben.“
„Wenn Kommunikation gelingt, kann Integration beginnen“
Landesfrauenbeauftragte und ZGF-Leiterin Bettina Wilhelm benennt die Kernforderung aus der Projektarbeit: „Sprache ist das Wichtigste: Wenn Kommunikation gelingt, kann Integration beginnen. Das haben wir in den vergangenen zwei Jahren gemeinsam mit geflüchteten Frauen und den Fachleuten der Flüchtlingshilfe immer wieder festgestellt. Deshalb sind Sprachkurse sowie qualifizierte und finanzierte Sprachmittlungs- und Dolmetschdienste so wichtig.“ Die Landesfrauenbeauftragte warb für eine Fortschreibung des Integrationskonzepts und dafür, die Erfahrungen des Projekts zu nutzen. Angebote für geflüchtete Frauen und Mädchen müssten weiterhin und verstärkt vorhanden sein. „Geflüchtete Frauen sind besonders schutzbedürftig, viele haben vor, während oder nach ihrer Flucht Gewalt erlebt. Andere können ihre Bildungsabschlüsse nicht nachweisen oder haben keine Berufspraxis. Spezifische gesundheitliche Probleme sind ein weiterer Faktor, dass geflüchtete Frauen bei ihrer Integration vor großen Hürden stehen – wir müssen sie unterstützen, diese Hürden zu überwinden“, resümiert Bettina Wilhelm. „Viele geflüchtete Frauen kommen aus Ländern, in denen patriarchale Strukturen in einem viel höheren Maße als in unserer Gesellschaft vorherrschen. Für sie ist das Ankommen eine besondere Herausforderung.“ Sie betont: „Ausreichende und flexible Kinderbetreuungsangebote müssen bei allen Integrationsmaßnahmen verbindlich mitgedacht und geplant werden – sonst erreichen wir diese Frauen nicht.“
Respekt und Sorgfalt statt Vorurteile
Auf Grund der strukturellen Unterschiede ist die Begegnung auf Augenhöhe kaum möglich, betonte Nivedita Prasad, Professorin für Handlungsmethoden und genderspezifische Soziale Arbeit an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin und Hauptreferentin der Tagung: „Geflüchtete Frauen werden häufig als passive Opfer wahrgenommen, die Hilfe von außen brauchen. Die Idee, dass Migrantinnen oder Schwarze Frauen von anderen gerettet werden müssen ist nicht neu, sondern hat eine lange problematische Tradition; im Kontext von Kolonialismus wurde von Zivilisierungsmissionen gesprochen. Um dies zu vermeiden, ist es wichtig möglichst vorurteilsfrei die Bedarfe der Frauen bzw. die Gründe für mögliche Probleme zu analysieren und entsprechend zu reagieren.“
Der Projektverlauf
Die Situation und Bedarfe geflüchteter Frauen und Mädchen analysieren und Maßnahmen entwickeln: Das war der Auftrag der ZGF im Rahmen des Integrationskonzepts des Bremer Senats. Handlungsschwerpunkte waren die Bereiche Gewaltschutz, Gesundheit und Arbeitsmarktintegration. Zwei Projektreferentinnen sind seit Herbst 2016 in Unterkünfte gegangen und haben Frauen vor Ort nach ihrer Situation und ihren Bedarfen gefragt, haben über 40 Informationsveranstaltungen angeboten und mit Fachleuten der Flüchtlingshilfe Netzwerke aufgebaut sowie einen Austausch der Einrichtungen untereinander organisiert.
Eine Reihe von Fortbildungen für Fachleute und ehrenamtlich Engagierte zum Umgang mit Gewalterfahrungen oder erlittenen Traumata hat stattgefunden – aktuell und noch bis Jahresende läuft der Transfer in die Stadtteile: Hier werden Haupt- und Ehrenamtliche dabei unterstützt, spezifische Angebote für geflüchtete Frauen zu realisieren. Mit der im Frühjahr erschienenen Broschüre „Ankommen“ gibt es ein niederschwelliges Informationsangebot für geflüchtete Frauen, das inzwischen auch von anderen Bundesländern nachgefragt wird. In der Broschüre sind in sechs Sprachen und leicht verständlich Informationen und Anlaufstellen für die Bereiche Gewalt, Gesundheit und Arbeitsmarkt zusammengefasst.
Der Beirat Frauen und Flucht
Ein Beirat geflüchteter Frauen hat die Arbeit der ZGF ehrenamtlich begleitet und aus Sicht der Zielgruppe bewertet. Zehn Frauen aus sechs Nationen, alle mit Fluchterfahrung, waren monatlich zusammengekommen, um sich über die Projektarbeit zu informieren, sie aus ihrer Sicht zu bewerten und eigene Themen zu beraten. Ihre wichtigste Forderung: „Frauen brauchen eigene Räume in den Stadtteilen, in denen sie zusammenkommen, sich beraten und einander unterstützen können. Diese Räume sollen aber ausdrücklich nicht nur für geflüchtete Frauen sein, sondern allen Frauen offen stehen“, erklärt Beirätin Najah Tamo. „Ganz wichtig sind aus unserer Sicht zudem ein ausreichendes Angebot an Sprachkursen mit Kinderbetreuung und auch die Arbeit mit Männern und Jugendlichen.“ Ihre Akzeptanz, dass Frauen und Männer gleichberechtigt seien, sei immens wichtig, damit Frauen ihren Weg gehen können.
Weitere Forderungen aus der Projektarbeit
Weitere Forderungen aus dem Projekt, die in engem Austausch mit Einrichtungen der Flüchtlingshilfe und Fachleuten der jeweiligen Bereiche Gesundheit, Gewaltschutz und Arbeitsmarktintegration entwickelt wurden, sind die Sicherstellung einer psychotherapeutischen Versorgung sowie niedrigschwellige Unterstützungs- und Versorgungsangebote im Gesundheitsbereich, des Weiteren die langfristige Sicherung von Gewaltschutz sowie die Einrichtung eigenständiger Sprechstunden für Frauen in Unterkünften oder die Schaffung geschützter, niedrigschwelliger Räume nur für Frauen im Bereich Bildung und Ausbildung. Hier hatte die ZGF gemeinsam mit Akteurinnen und Akteuren im Bereich Qualifizierung und Arbeitsmarktpolitik Kriterien erarbeitet und veröffentlicht, wie Maßnahmen für geflüchtete Frauen auszugestalten sind.
Mehr zu den Kriterien:
https://www.senatspressestelle.bremen.de/sixc%0D%0A%20ms/detail.php?gsid=bremen146.c.292258.de&asl=bremen02.c.732.de