Der Hannah-Arendt-Preises für politisches Denken geht in diesem Jahr an den deutschen Philosophiehistoriker Kurt Flasch. Der von der Stadt Bremen und der Heinrich Böll Stiftung gestiftete und mit 7.500 Euro dotierte Preis wird Kurt Flasch am Freitag, den 11. Dezember 2009 um 18 Uhr in der Bremer Bürgerschaft im Rahmen einer Festveranstaltung überreicht.
Die Begründung der Jury
„Der 1994 ins Leben gerufene Hannah Arendt Preis soll stets daran erinnern, dass „der Sinn der Politik die Freiheit [ist]“, sagt Jurymitglied Prof. Otto Kallscheuer. Kurt Flasch habe sich diese Freiheit im Denken gerade dort genommen, wo weder die öffentliche Meinung noch der akademische Normalverbraucher sie vermuten würde: in der mittelalterlichen Philosophie. „Die Geschichte der Philosophie ist für Kurt Flasch jedoch kein Ruheplatz für schöne Seelen, zeitlose Probleme und Klassikerzitate. Seine Standardwerke zum Heiligen Augustinus, zu Dietrich von Freiberg oder Nikolaus von Kues sind stets auch ideenpolitische Streitschriften“, so Kallscheuer. Wenn Kurt Flasch philosophische Klassiker bespreche, zelebriere er sie nicht, sondern führe uns ein in die „Kampfplätze der Philosophie“. „Er erklärt uns ihre Spielregeln und schmutzigen Tricks, er lässt uns teilhaben am Streit der Ideen und Interessen. Auf den Gemeinplätzen der Philosophie, in ihren Argumenten und Beweisgründen lernen wir so, die politischen wie kulturellen Konflikte ihrer Zeit zu verstehen – und zu kritisieren“. Weiter führt Kallscheuer aus: „Alles verstehen heißt nicht, alles zu verzeihen: Wie war es möglich, dass sich nahezu die Gesamtheit der bedeutendsten deutschen Denker beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs in die „Geistige Mobilmachung“ des Kaiserreichs einspannen ließ? Kurt Flasch hat diese Frage nicht gelöst – aber er hat sie eindringlich, in einer viel zu wenig bedachten Monographie gestellt“.
Freilich sei Kurt Flasch weit davon entfernt, das philosophische Ringen um die Wahrheit im Leben auf ideologische oder Interessenkämpfe zu reduzieren. Kallscheuer: „Mit dem deutschen Kardinal Nikolaus von Kues hörte er „die Wahrheit auf den Gassen schreien“. Giovanni Boccaccios Erzählungen „über den schwarzen Tod von Florenz“ habe er übersetzt, um auf den „dramatischen Geschmack des Lebens, Liebens, Sterbens zu kommen“ und in den vernünftigen Argumenten des deutschen Mystikers Meister Eckhart habe er Traditionslinien der arabischen Philosophie entdeckt.“
Kallscheuer ergänzt zudem: „Das philosophische Abendland ist für Kurt Flasch weder ein Tempel noch eine Kathedrale, sondern ein umstrittener Ort der Begegnungen: von Athen und Jerusalem, zwischen Rom und Byzanz – mit mobilen Grenzen zwischen Aufklärung und Offenbarung, zwischen Orient und Okzident. Ein solches denkendes Traditionsbewusstsein ist heute gerade im politischen Westen vonnöten.“
Über den Preisträger
Kurt Flasch, 1930 in Mainz geboren, promovierte 1956 und habilitierte 1969 in Frankfurt am Main. Von 1970 bis zu seiner Emeritierung 1995 war er Ordinarius für Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum. Er ist Mitglied der Römischen Akademie der Wissenschaften (Accademia Nazionale dei Lincei), der Toscanischen Akademie der Wissenschaften und der Literatur (La Colombaria) sowie der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Sein Hauptarbeitsgebiet ist die Philosophie der Spätantike und des Mittelalters. 2000 erhielt Kurt Flasch den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa.
Kontakt
Bildungswerk Umwelt und Kultur in der Heinrich-Böll-Stiftung
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