Seit Anfang August laufen offiziell die Grabungsarbeiten für die archäologische Untersuchung auf dem ehemaligen Kriegsgräberfriedhof an der Reitbrake. Bereits im Juli hat die Landesarchäologie Bremen, unterstützt von der bremischen Hafengesellschaft bremenports, dafür mit ersten vorbereitenden Arbeiten für eine archäologische Untersuchung des ehemaligen Friedhofs für sowjetische Kriegsgefangene in Bremen–Oslebshausen begonnen. Anhand alliierter Luftbilder und einer darauf basierenden Georeferenzierung wurden bei den Vorarbeiten auch erste Spuren des ehemaligen sogenannten "Russenfriedhofs" gefunden. An den Grabungen in Bremen konnten neben Studierenden der Bremer Universität unter anderem auch vier ukrainische Studierende beteiligt werden.
Ihr Aufenthalt und die Teilnahme an den Grabungen kam auch durch Mitwirkung der ukrainischen Generalkonsulin in Hamburg, Iryna Tybinka, zustande. Die vier Studierenden der Taras-Schewtschenko-Nationaluniversität in Kiew und ihre Dozentin Dr. Tetiana Pastushenko haben sich im Team von Prof. Dr. Uta Halle zwei Wochen lang ganz praktisch mit einem sensiblen Teil der Geschichte auch ihres Landes auseinandergesetzt. Romana Sytnyk, Claudia Sharapova und Oleksandr Hlushchenko studieren Geschichte bzw. Archäologie, Anna Rudnichuk ist Doktorandin der Geschichte.
Am heutigen Freitag (27. August 2021) stellten die vier ukrainischen Jungakademikerinnen zusammen mit Landesarchäologin Prof. Dr. Uta Halle ihre Eindrücke von den Arbeiten vor.
In ihrem Resümee bedankten sich die fünf jungen Ukrainer uniso dafür, dass sie temporär an diesem Projekt mitwirken durften. Auffallend sei für sie, dass man sich seitens Bremens mit großer Sorgfalt der Aufgabe stelle, volle Aufklärung über den Verbleib der menschlichen Überreste der Zwangsarbeiter zu erlangen – und dabei auch die Kosten nicht scheue. Eine Studentin, angehende Anthropologin, berichtete noch davon, wie sie während der Grabungsarbeiten anhand der Knochenfunde realisierte, dass sie als junge Menschen genau in dem Alter sind, wie es die Zwangsarbeiter seinerzeit waren, als sie sterben mussten. Das, so wurde berichtet, löste einen Moment besonderen Berührung am Ort der Grabung aus.
Prof. Dr. Uta Halle: "Wir haben in den zwei Wochen viel von und mit einander gelernt, interessante Diskussionen geführt, und die ukrainischen und Bremer Studierenden haben gemeinsam erste sterbliche Überreste der dort exhumierten Kriegsgefangenen und mehrere Erkennungsmarken geborgen. In einem bunten Sprachgemisch aus Ukrainisch, Russisch, Englisch und Deutsch ging es in den letzten zwei Wochen auch darum, die freigelegten Strukturen zu besprechen. Ausgraben ist körperlich auch anstrengend, dazu kommt der Lärm der eingesetzten Maschinen, aber trotzdem - dies zeigen auch die hier vorgestellten Statements der ukrainischen Gruppe – kam es an diesem eigentlich traurigen Ort mit der belasteten Geschichte auch zu fröhlichen Situationen. Gemerkt haben alle Beteiligten, wie sorgsam wir mit der Geschichte des Ortes arbeiten und wie wir versuchen, möglichst viele neue Informationen im und aus dem Boden zu gewinnen. Wir haben der Gruppe versprochen, sie über den weiteren Fortgang der Ausgrabung zu informieren und auch neue Fotos zu schicken."
Zum Hintergrund:
Im Areal an der Reitbrake wurden während des zweiten Weltkriegs sowjetische Zwangsarbeiter begraben. 1948 wurden ihre sterblichen Überreste auf den Ehrenfriedhof in Bremen Osterholz umgebettet. Seitdem wurde und wird das Gebiet gewerblich und eisenbahnbetrieblich genutzt. Die Fläche befindet sich zum überwiegenden Teil im Eigentum der Stadtgemeinde Bremen und zählt zu dem von bremenports im Auftrag der Senatorin für Wissenschaft und Häfen bewirtschafteten Sondervermögen Häfen. Seit 2019 ist ein Teilbereich für den Bau einer Bahnwerkstatt vorgesehen. Doch eine aktuelle Sichtung archivierter Dokumente aus dem Frühjahr dieses Jahres lässt vermuten, dass sich vielleicht doch noch bis zu 300 bisher nicht exhumierte sterbliche Überreste auf dem ehemaligen Kriegsgräberfriedhof befinden könnten. Anlass für die Sichtung waren öffentlich geäußerte Vermutungen einer Bürgerinitiative.
Die daraufhin angestrengten Grabungen sind für ein halbes Jahr geplant. Man hofft, die Arbeiten noch vor dem Winter beenden zu können. Derzeit ist ein Fünftel der Fläche untersucht, dabei wurden bislang unter anderem fünf Erkennungsmarken sowie einige einzelne Knochenreste ausgegraben, aber noch keine kompletten Gräber. Für die Ausgrabung sind verschiedene Grabungsabschnitte eingeplant, die sukzessive geöffnet werden und dabei für die Öffentlichkeit transparent dokumentiert werden.
Besonders auch für die betroffenen Heimatländer der möglicherweise noch hier begrabenen Toten sind die Grabungen ein sensibles Thema und daher von großem Interesse. Es gab deshalb auch mehrfach Konsultationen hierzu mit der russischen wie mit der ukrainischen Seite. Zum Beispiel besuchte der Generalkonsul der Russischen Föderation, Andrei Sharashkin, am 11. August 2021 die Grabungsstätte, um sich über den Sachstand zu informieren.
Und bereits anlässlich ihres Antrittsbesuches im April des Jahres sprachen Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte und Generalkonsulin Tybinka über das Gedenken an ukrainische Kriegsopfer in Deutschland. Anlass war damals die schon in Rede stehende Grabung der bremischen Landesarchäologie auf dem Gelände an der Reitbrake.
Der Bremer Senat wird weiterhin, losgelöst von den aktuell mit diesem Standort verbundenen Ansiedlungsplanungen, eine adäquate Sachaufklärung betreiben und einen würdigen und angemessenen Umgang mit gegebenenfalls noch verbliebenen sterblichen Überreste finden.
Interessierte Bürgerinnen und Bürger haben am Tag des offenen Denkmals (Sonntag, 12. September) um 14, 15 und 16 Uhr die Gelegenheit, sich bei Führungen über den Stand der Ausgrabung zu informieren.
Achtung Redaktionen:
Die Pressestelle des Senats bietet Ihnen die Fotos zu dieser Mitteilung zur honorarfreien Veröffentlichung an. Fotos: Landesarchäologie Bremen, J. Geidner
Foto-Download Überblick Grabungsstelle (jpg, 279.1 KB)
Foto-Download Details Grabungsstelle (jpg, 283.3 KB)
Ansprechpartner für die Medien:
Werner Wick, Pressesprecher beim Senator für Kultur, Tel.: (0421) 361-16173, E-Mail: werner.wick@kultur.bremen.de