Die alte Standuhr in der Oberen Rathaushalle ist ein wahres Kleinod. Wenn das Glockenspiel silberhell erklingt, hält man den Atem an. Kaum zu glauben, was in dieser Uhr steckt. Doch nicht nur wegen des wunderbaren Glockenspiels ist die Uhr eine Besonderheit. Sie zeigt neben Sekunden, Minuten und Stunden auch den Monat und den exakten Wochentag an. Ganz besonders beeindruckend sind die Mondphasen, die sich mit einem Blick in den Uhrkasten ablesen lassen. Kein Wunder, dass Liebhaber alter Uhren diese Rarität gern genauer in Augenschein nehmen – so wie heute (12.10.2012) Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Chronometrie, die sich von Timo Gérard aus Bremen, Restaurator für antike Uhren, das komplexe und wohl einmalige Uhrwerk haben erklären lassen. „Wie schön sie klingt“ – die Begeisterung bei den Gästen war zum Greifen nah.
Die Deutsche Gesellschaft für Chronometrie tagt am morgigen Sonnabend in Bremerhaven - und Im Rahmen dieses Treffens hat Gérard die Fachleute ins Rathaus gebeten, um ihnen das höchst meisterlich konzipierte Uhrwerk vorzustellen.
Ratsuhrmacher Georg Christoph Meybach hat die prächtige Uhr in der Oberen Rathaushalle im Jahr 1739 geschaffen. Alle 15 Minuten – so hat es einst der Bremer Rat gewollt – sollte das Glockenspiel erklingen. Es sind hübsche kleine Menuette und Melodien zu geistlichen Lobgesängen, mit denen die fast fünf Meter hohe Standuhr die Menschen erfreuen sollte. Das komplizierte Uhrwerk besteht aus fünf einzelnen Räderwerken mit zahlreichen Hebeln, die miteinander kunstvoll verbunden sind. Das große Glockenspielwerk ist so beschaffen, dass insgesamt 14 verschiedene Lieder erklingen könnten. Erstaunlich für die damalige Zeit, in der Meybach modernste Techniken verwendete bezw diese selber entwickelte.
Glockenspiel und Stundenschlag sind heutzutage allerdings nur zu besonderen Anlässen zu hören. Ansonsten ist die Mechanik ausgeschaltet, denn die Obere Halle des 600 Jahre alten Bremer Rathauses wird oft und gern für Veranstaltungen und Empfänge aller Art genutzt, bei denen die Melodien und Schläge alle 15 Minuten denn doch stören würden.
Timo Gérard kennt sich bestens mit der Uhr in der Oberen Halle aus – hat er doch das große Glockenspielwerk restauriert und 2004 wieder neu zum Klingen gebracht. Damals waren einzelne der insgesamt 24 Glocken erheblich verstimmt, die Melodie glich kaum noch dem ursprünglichen Klang. Ein Musikwissenschaftler wurde eingeschaltet, der die alte Fassung neu schrieb. Erst dann konnten die Glocken exakt gestimmt werden und begeistern seither mit ihrem originalen schönen Klang. Das freute heute besonders Wim Hodzelmans aus Holland, der seinerzeit die Glocken angefertigte und beim Besuch der Uhrenfachleute im Rathaus dabei war.
Die Gesellschaft für Chronometrie wurde im Jahr 1949 gegründet, um die nach dem Krieg schwer angeschlagene westdeutsche Uhrenindustrie durch Forschung und Entwicklung zu unterstützen. Damals lag der Schwerpunkt der Forschungsarbeit im technisch-wissenschaftlichen Bereich - mit dem nahezu vollständigen Verschwinden der mechanischen Uhren verschob sich jedoch der Schwerpunkt zum historisch-wissenschaftlichen Gebiet. 1960 gründete sich der Fachkreis „Freunde alter Uhren“ mit der Aufgabe, die Geschichte der Zeitmessung zu erforschen und den historischen Uhren mehr Gewicht zu verleihen. Heute umfasst die Gesellschaft mehr als 1000 Mitglieder, die thematisch in vier Fachkreisen und örtlich in 10 Regionalkreisen von Hamburg im Norden bis Stuttgart im Süden, von Köln im Westen bis Dresden im Osten organisiert sind.
Fotos: Senatspressestelle