Der ehemalige Präsident des Landgerichts Osnabrück, Antonius Fahnemann, hat dem Rechtsausschuss der Bremischen Bürgerschaft heute Nachmittag (16. Mai 2018) seinen Bericht zur Situation der Strafkammern des Landgerichts Bremen vorgelegt. Der Bericht analysiert die Belastungssituation der Strafkammern des Landgerichts und identifiziert die Ursachen für ein Anwachsen von Verfahrensbeständen in den vergangenen Jahren. Das Papier enthält konkrete Handlungsempfehlungen, um eine zeitnahe Bearbeitung insbesondere von Verfahren mit angeordneter Untersuchungshaft zu gewährleisten, kurz- und mittelfristig Verfahrensbestände abzubauen und ein erneutes Anwachsen von Beständen zu verhindern. Grundlage des Berichts sind neben Daten zum Landgericht Bremen vor allem auch bundesweite Vergleichsdaten und solche der Landgerichte aus dem Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm.
„Mit dem Bericht liegt nun eine detaillierte Analyse zur Situation am Landgericht vor, die die dortige Lage objektiv einordnet und konkrete Handlungsempfehlungen ausspricht. Der Bericht ist damit eine hervorragende Grundlage für eine sachliche Diskussion und ein gemeinsames Anpacken. Ich danke Herrn Fahnemann für seine ausgezeichnete und umfassende Arbeit ganz außerordentlich“, so Justizstaatsrat Jörg Schulz.
Dem Bericht zufolge zeigen die Daten, dass die Strafkammern des Landgerichts auch angesichts der zuletzt hohen Eingangszahlen sowohl im bundesweiten Vergleich als auch verglichen mit den Landgerichten im Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm durchschnittlich belastet sind. Dies gelte sowohl für die Eingänge pro Richter als auch für die Sitzungsstunden. Festzustellen sei ein besonders hoher Einsatz von Richtern in Straf- statt in Zivilverfahren, besonders hohe Verfahrensbestände pro Richter und weiterhin steigende Personalbedarfe.
„Gemeinsam mit dem ehemaligen Präsidenten des Landgerichts Osnabrück haben wir uns intensiv angeschaut, wo genau das Landgericht bei der Belastung mit Strafverfahren und deren Bearbeitung verglichen mit anderen Landgerichten steht. Auf Grundlage dieser Einordnung können wir sagen, wer welche Maßnahmen zu ergreifen hat, um sowohl Verfahren mit Untersuchungshaft schnell zu entscheiden als auch, um die Altverfahren zu erledigen“, erläutert die Präsidentin des Oberlandesgerichts Karen Buse.
Als ein „Nadelöhr“ der Verfahrensbestände beim Landgericht identifiziert der Bericht die zu geringe Zahl an Vorsitzenden Richterinnen und Richtern in Strafsachen, ohne die eine Gerichtsverhandlung nicht möglich ist. Mit einem Personaleinsatz wie am Landgericht Bremen sei es demgegenüber grundsätzlich möglich, auch Strafverfahren im Umfang der aktuell zu verzeichnenden hohen Neueingänge zeitnah zu erledigen. Dem Anstieg der Neueingänge bei Gericht um ca. 38 Prozent von 2012 bis 2017 stehe ein Anstieg der Richterkräfte in den Strafkammern des Landgerichts von 15 auf 21 und damit um 40 Prozent gegenüber. Da es – anders als in den Jahren 2008 bis 2011 – von 2012 bis 2014 indes nicht gelungen sei, Verfahrensbestände abzubauen, seien gegenwärtig aber sowohl eine hohe Eingangslast als auch hohe Verfahrensbestände zu bewältigen.
„Zwar reicht das Richterpersonal am Landgericht Bremen grundsätzlich aus, um auch die hohe Zahl an Neueingängen zu bewältigen“, so Antonius Fahnemann. „Angesichts der Verfahrensbestände, die zahlenmäßig den Eingängen eines ganzen Jahres entsprechen, bedarf es aber einer gemeinsamen Kraftanstrengung aller Beteiligten und eines langen Atems.“
Hinsichtlich der Ursachen für das Anwachsen von Beständen in den Strafkammern des Landgerichts Bremen empfiehlt der Bericht eine Berücksichtigung der unterschiedlichen Komplexität verschiedener Verfahren bei der richterlichen Geschäftsverteilung. Der mit den verschiedenen Strafverfahren verbundene unterschiedliche Aufwand und der unterschiedliche zeitliche Umfang müsse bei der gerichtsinternen Geschäftsverteilung berücksichtigt werden. Den einzelnen Kammern des Landgerichts solle zudem stärker als bisher eine Spezialisierung ermöglicht werden. Um vorhandene Ressourcen optimal zu nutzen, solle eine Geschäftsverteilung mit Zuständigkeiten angestrebt werden, bei denen das Spezialwissen gebündelt und – auch im Sinne der eingesetzten Richterinnen und Richter – nutzbar gemacht werde. Zu berücksichtigen sei ferner, dass die Anforderungen im Strafrechtsbereich für landgerichtliche Verfahren in den vergangenen Jahren stark gestiegen seien. Erweiterte Ermittlungsmöglichkeiten der Polizei bedeuteten umfangreichere Strafprozesse. Die ausschließlich großstädtische Zuständigkeit des Landgerichts Bremen führe zu vergleichsweise mehr umfangreichen und schwierigen Verfahren aus dem Bereich der Schwerkriminalität. Hier bedürfe es der dauerhaften Spezialisierung und gezielten Qualifizierung des richterlichen Personals sowie eines Personalentwicklungskonzeptes für die zukünftigen Strafkammervorsitzenden.
„Wir sehen, dass die Richterinnen und Richter in den Strafkammern des Landgerichts Bremen aufgrund der ausschließlich großstädtischen Zuständigkeit und des aktuell hohen Zulaufs an Haftsachen besonderen Belastungen ausgesetzt sind“, so Justizstaatsrat Jörg Schulz. „Diese besondere Belastung gilt es anzuerkennen und zu würdigen. Gemeinsam wollen wir schauen, wie wir das Gericht besser aufstellen können.“
Als konkrete Handlungsempfehlungen nennt der Bericht die Zuweisung weiterer Richterinnen und Richter zu den bereits bestehenden Strafkammern des Landgerichts. Die Bildung einer weiteren Wirtschaftsstrafkammer und einer Großen Strafkammer mit jeweils drei Richterstellen und dem entsprechenden Wachtmeister- und Servicepersonal sei angezeigt. Um Verfahrensbestände abzubauen, solle die Große Strafkammer für Altverfahren zuständig sein und von neuen Verfahren freigehalten werden. Die zwei zusätzlichen Kammern seien wieder aufzulösen, wenn die Verfahrensbestände des Gerichts abgebaut seien. Ferner bedürfe es einer klaren Zuständigkeit einzelner Kammern als Schwurgericht, Wirtschaftskammer und als Große Jugendkammer. Mittelfristig entstehe durch die zusätzlichen Verhandlungen der beiden neuen Kammern bei der ohnehin schon hohen Auslastung der Sitzungssäle ein weiterer Bedarf an Sitzungssälen.
„Der Blick soll jetzt nach vorn gehen. Wenn es so ist, dass mit den vorhandenen Kräften am Landgericht zwar die gegenwärtig anfallenden, hohen Verfahrenseingänge bewältigt werden können, es aber weiterer Richterinnen und Richter und Vorsitzender bedarf, um den Knoten zu durchschlagen und auch vorhandene Altlasten abzubauen, machen wir uns diese Empfehlung zu eigen und werden alles dransetzen, dies zu ermöglichen“, erklärt Justizstaatsrat Jörg Schulz. „Es sollte dann allerdings auch die im Bericht aufgezeigten Strukturreformen am Landgericht geben. Ich bin optimistisch, dass es uns dann gemeinsam gelingen wird, sicherzustellen, dass sowohl bestehende Verfahrensbestände abgebaut als auch Neueingänge zeitnah verhandelt werden. Dass die bisher vom Hofbräuhaus genutzten Räumlichkeiten dem Landgericht zur Verfügung gestellt werden müssen, um mehr Sitzungssäle für mehr Verhandlungen zu haben, erscheint mir eindeutig.“
Zum Hintergrund:
Seit 2015 verzeichnet das Landgericht Bremen einen starken Anstieg an Strafverfahren, darunter solche, bei denen Untersuchungshaft angeordnet wurde. Parallel hierzu wurde die Zahl der Richterinnen und Richter am Gericht verstärkt. Aufgrund der weiterhin angespannten Lage des Landgerichts Bremen hatte der Senator für Justiz und Verfassung den ehemaligen Präsidenten des Landgerichts Osnabrück im November 2017 damit beauftragt, die Belastungssituation gemeinsam mit dem Hanseatischen Oberlandesgericht zu analysieren und Vorschläge zu einer Bewältigung der Verfahrensbestände auszuarbeiten.
Der Bericht kann auf der Internetseite des Rechtsausschusses der Bremischen Bürgerschaft eingesehen werden: http://www.bremische-buergerschaft.de/index.php?id=264