Landesarchäologie birgt Alltagsgegenstände
14.08.2018Das Gelände der Neuenlander Straße 105, wo sich zuletzt das Haus Neuenland der AWO befand, liegt nach Abriss der Gebäude seit längerem brach. Nun ist es vom Land Bremen an einen Investor veräußert worden. Dieses Grundstück war bis jetzt als Bodendenkmal geschützt. Denn die alten Gebäude aus dem 19. Jahrhundert standen auf einer knapp 80 cm hohen, künstlich aufgeschütteten Erhebung, einer sogenannten Wurt, einem mittelalterlichen Wohnhügel.
Entlang der heute viel befahrenen Straße sind insgesamt zehn solcher, zum Teil nur noch sehr schwach erkennbare Siedlungshügel aus dieser Zeit erhalten. Sie gehörten zum Dorf Neuenland, das, bei St. Martini eingepfarrt, als bremische Landgemeinde im 18. Jahrhundert zehn Vollhöfe und etwa 100 Einwohner besaß.
Die Besiedlung des Neuenlandes war die letzte Phase der sogenannten Hollerkolonisation um die Hansestadt herum. Urbar gemacht und besiedelt wurden so von landsuchenden bzw. angeworbenen Holländern etwa das namengebende Holler- und Blockland, das Vieland und Oberneuland. Die Holländer waren besonders zur Besiedlung der hochwassergefährdeten Landflecken geeignet, brachten sie doch die Kenntnis über die zur Kolonisierung notwendigen Wasserbautechniken aus ihrer Heimat mit.
Den Beginn der Hollerkolonisation markiert die erste im Jahr 1113 von Bischof Friedrich I. von Bremen ausgestellte Kolonisationsurkunde. In ihr wurde sechs Holländern unbebautes Marschland zur Urbarmachung übertragen. Die Erzbischöfe von Bremen stellten im Laufe des 12. Jahrhunderts noch weitere Kolonisationsurkunden aus.
Jedoch erst 1201 verlieh Erzbischof Hartwig II. für das Nielandt (1284: Nyenlande) das Privileg zur Kolonisierung, das erstmals 1207 im Bremischen Urkundenbuch erwähnt wird. Im 13. Jahrhundert entstand hier das Straßendorf Neuenlande im Obervieland, das damals noch bis zur Ochtum reichte. Längs der Höfe entstand ein Weg, die heutige stark befahrene Neuenlander Straße.
Als erster der zehn aus der Umgebung herausragenden Wurtenhügel musste nun, vor der unmittelbar bevorstehenden Zerstörung des Bodendenkmals durch tiefgreifende Neubebauung der unterirdische Rest des Wohnhügels ausgegraben bzw. archäologisch dokumentiert werden. Die Grabungsfirma Archäofirm mit dem Grabungsleiter Felix Jordan legte eine 1000 Quadratmeter große Fläche, teilweise bis in drei Metern Tiefe frei. Die erste archäologische Ausgrabung einer der Wurten an der Neuenlander Straße ist seit letzter Woche abgeschlossen. Sie brachte einige Erkenntnisse über die Entwicklung und das Aussehen der wie an einer Kette aufgereihten Wohnhügel, bei denen wie bei einer Zwiebel mächtige Siedlungsschichten verschiedener Jahrhunderte übereinanderliegen. Tief im Untergrund fanden sich stabile Holzgründungen von Wohn- und Stallgebäuden. Dendrochronologisch datieren die ältesten Pfosten in die Zeit um 1230, als der selbstbewusste und expansionsfreudige Bremer Erzbischof Gerhard II. (* um 1190; † 28. August 1258) im Land Bremen herrschte.
Offensichtlich bestand die letzte Wurt aus zwei zusammengewachsenen einzelnen Wurtenerhöhungen, die durch Gräben getrennt waren.
Durch Auffüllen dieser Gräben wurden diese Wurten in der Frühen Neuzeit zu einer einzigen großen Wurt. Sie mussten deshalb regelmäßig gereinigt und entschlammt („ausgekleit“) werden. Der Aushub der Gräben wurde normalerweise zur Erhöhung der Wurt oder als Dünger benutzt, doch in der Verfüllung der Gräben fanden sich zahlreiche Alltagsobjekte des Mittelalters, wie ein Knochenkammfragment, Hufeisen, Trensen, Werkzeug, Nägel, Messer- und Besteckgriffe sowie Schuhe. Sinn und Zweck einer gefundenen eisernen Miniaturhacke und einer -axt sind nicht bekannt.
Auf Tierhaltung deuten zahlreiche Haustierknochen als auch vollständige Skelette von z.T. jungen Rindern hin. Von der Leder- und Textilverarbeitung stammen viele Lederreste als auch Tuchplomben, Geräte zur Textilherstellung wie etwa Spinnwirtel, Nadeln und Fingerhüte.
Die Datierung der verschiedenen Holzreste weist auf unterschiedliche Ausbauphasen der beiden zusammengewachsenen Wurten hin.
Nach der großen Gründungsphase im 13. Jahrhundert wurde die Wurt um 1313, um 1468 und um 1554 weiter aus- oder umgebaut. Eine hölzerne Wand, vermutlich Teil eines Steges, wurde kurz vor dem Dreißigjährigen Krieg errichtet. Für sie wurden einige alte Bauhölzer wiederverwendet.
ZumTeil bestanden die Gebäude aus Eichenpfosten mit Bohlenwänden, doch scheinen einige Formsteine auf Ziegelbauten und damit schon größeren Reichtum der Bewohner und Bewohnerinnen im Spätmittelalter hinzudeuten. Mehrfach sind die Gebäude auf der Wurt einem Feuer zum Opfer gefallen, wie teils mächtige Brandhorizonte beweisen. Zeichen kriegerischer Ereignisse verschiedener Zeiten sind geborgene Armbrustbolzen und Musketenkugeln.
Einige Funde wie Zinnfiguren oder Porzellanpuppenreste sowie Spielkugeln und Murmeln stammen vornehmlich jedoch aus dem 19. Jahrhundert. Dieses Spielzeug ist beredter Zeuge der Nutzung des Geländes für soziale Einrichtungen Bremens im 19. und 20. Jahrhundert. Bereits seit Anfang des 19. Jahrhunderts wurde hier ein Waisenhaus errichtet.
Die Kernwurt konnte nun zwar ausgegraben, dokumentiert und wieder verfüllt werden, der nördliche Randbereich des ehemaligen Bodendenkmals liegt jedoch weiterhin unter der Fahrbahn der Neuenlander Straße verborgen.
Kontakt:
Dr. Dieter Bischop
Landesarchäologie Bremen
An der Weide 50a
28195 Bremen
Tel.: 0421-361 3267
dieter.bischop@landesarchaeologie.bremen.de
Fotos: Landesarchäologie