Auf einer hybriden Veranstaltung mit rund 200 Teilnehmenden aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien haben heute Vertreterinnen und Vertreter des Nationalen Normenkontrollrats (NKR) und des IT-Planungsrats über konkrete Lösungsansätze diskutiert, wie die Digitalisierung der Verwaltung weiter an Fahrt aufnehmen kann. Das Gutachten ist im Auftrag des NKR von der Ruhr-Universität Bochum in Zusammenarbeit mit der Unternehmensberatung msg systems ag erstellt worden.
In verschiedenen behördlichen Angelegenheiten müssen Bürgerinnen und Bürger bestimmte Daten wie etwa das Einkommen angeben, um staatliche Leistungen zu erhalten. Was dabei unter "dem Einkommen" verstanden wird, ist von Verfahren zu Verfahren oft sehr unterschiedlich. Das erzeugt nicht nur Unsicherheiten auf Seiten der Antragstellerinnen und Antragsteller, sondern schafft auch zusätzlichen Bearbeitungsaufwand auf Behördenseite.
Landrätin Dorothea Störr-Ritter, Mitglied des NKR: "Im Nationalen Normenkontrollrat sind wir davon überzeugt, dass diese Modularisierung des Einkommensbegriffs einen echten Durchbruch für die Digitalisierung von Verwaltungsdienstleistungen bewirken kann. Jetzt obliegt es der nächsten Bundesregierung, diese Erkenntnisse zu nutzen, damit 'Once-Only' in der breiten Anwendung und damit die moderne bürgerorientierte digitale Verwaltung nicht nur eine Vision bleibt, sondern auch Realität wird."
Christian Pfromm, Chief Digital Officer der Stadt Hamburg: "Für Hamburg als diesjähriges Vorsitzland des IT-Planungsrates sind die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes, das Registermodernisierungsgesetz und die Beschleunigung der Digitalisierung von Verwaltungsdienstleistungen wichtige Schwerpunktthemen. Echte Verfahrensvereinfachungen, die Daten nach dem 'Once-Only'-Prinzip erfassen und verfügbar machen, können aber nur gelingen, wenn die zugrundeliegenden Begrifflichkeiten eindeutig und einheitlich verwendet werden. Insofern liefert das Gutachten des NKR grundlegende Erkenntnisse und wertvolle Impulse zur Umsetzung."
Dr. Martin Hagen, Staatsrat, Freie Hansestadt Bremen: "Im Bremer ELFE Projekt konnte der Kinderzuschlag bislang nicht umgesetzt werden, weil unter anderem der Abruf der relevanten Einkommensdaten aufgrund nicht programmierbarer Datenfelder scheitert. Der Einkommensbegriff muss codierbar werden. Gelingen kann das, wie das Gutachten zeigt, durch eine Zerlegung in seine modularen Bestandteile, vergleichbar mit Bausteinen. Auf diese Weise lassen sich passgenaue und einzelfallgerechte Lösungen 'bauen'. Mit dem Praxistransfer beginnen wir in Bremen im Themenfeld 'Familie und Kind' jetzt."
Jan Fries, Staatsrat, Freie Hansestadt Bremen: "Mit einem modularen, digitalisierungstauglichen Einkommensbegriff sehen wir die Chance, Sozialleistungen bürgerfreundlicher zu gestalten. Er befreit von der Last, immer wieder neu zu klären, was als Einkommen anzusehen ist und was nicht. Damit sinkt die Hemmschwelle, Rechtsansprüche geltend zu machen, und das Antragsverfahren ist, weil es einfacher ist, auch weniger sozial selektiv. Außerdem gibt es weniger Rückfragen der Behörden zur Klärung der Einkommen und damit ein kundenfreundlicheres, weil schnelleres und störungsärmeres Verfahren."
Kernbotschaften des NKR-Gutachtens
- Digitale Verwaltungsverfahren werden nur durch passgenaue Datenabrufe nutzerfreundlich und effizient. Es gilt, die in den Registern und Fachverfahren vorhandenen Daten verfahrensübergreifend zu nutzen. Die inhaltliche Passgenauigkeit der Daten muss so verbessert werden, dass die Daten, die bereits in den Behörden vorhanden sind, nur ein einziges Mal durch die Betroffenen anzugeben sind. Nur so kann das Once-Only-Prinzip verwirklicht werden.
- Die wechselseitige Anpassung von rechtlichen und technischen Anforderungen ist nötig. Der Begriff des Einkommens ist äußerst individuell und detailreich ausgestaltet. Neben sprachlichen gibt es auch inhaltliche Abweichungen. Folge ist, dass die verschiedenen Behörden unter dem vermeintlich gleichen Begriff des Einkommens Unterschiedliches verstehen. Ein optimaler Datenaustausch zwischen den Registern und Fachverfahren erfordert aber, dass sich in gleich benannten Datenfeldern auch die gleichen Inhalte wiederfinden.
- Verfahrensübergreifende sprachliche Vereinheitlichung und Modularisierung bieten einen Weg zu einem digitaltauglichen Einkommensbegriff. Die verschiedenen Einkommensbegriffe folgen – trotz Detailunterschieden – weitgehend einer ähnlichen Grundstruktur und nutzen gemeinsame Begriffselemente, die als Anknüpfungspunkt für die Modularisierung dienen können.
- Ein standardisiertes Baukastensystem ermöglicht Passgenauigkeit von Recht und Technik. Für die Modularisierung sind die Rechtsbegriffe in ihre Bestandteile zu zerlegen und sprachlich verfahrensübergreifend eindeutig zu bezeichnen. Die durch die Zerlegung entstandenen Module und Submodule können anschließend je nach fachlichem Kontext beliebig - wie in einem Baukastensystem - kombiniert werden ("Harmonisierung durch Modularisierung").
- Begriffliche Abweichungen müssen sich in den Datenbeständen widerspiegeln. Allein die rechtliche Harmonisierung ist allerdings nicht ausreichend, damit die Einkommensdaten problemlos verfahrensübergreifend ausgetauscht werden können. Zugleich bedarf es eines Abgleichs der Module und Submodule mit den vorhandenen Datenbeständen in den jeweiligen Registern und Fachverfahren. Die im Recht verwendeten Module und Submodule müssen sich in den Datenfeldern entsprechend wiederfinden. Sofern Abweichungen bestehen, muss dies nachjustiert werden.
- Für den passgenauen Abgleich von Recht und Technik dienen als zentrale Werkzeuge das Data Dictionary und das Data Repository. Im Data Dictionary werden die Rechtsbegriffe inhaltlich eindeutig beschrieben. Auch ist enthalten, in welchen Registern und Fachverfahren diese Rechtsbegriffe in Datenfeldern abgebildet sind und wer dafür zuständig ist. In einem darauf aufbauenden Data Repository wird die technische Datenstruktur einzelner Begriffsmodule definiert.
- Notwendig ist eine Inventur des Rechtsbestandes im Hinblick auf seine Digitaltauglichkeit. Um Once-Only Wirklichkeit werden zu lassen und einen verfahrensübergreifenden Datenaustausch zu ermöglichen, muss die Digitaltauglichkeit des existierenden Rechtsbestandes verbessert werden, ansonsten bleibt die Vernetzung der Datenbestände, insbesondere bei der Umsetzung des OZG eine unerreichbare Wunschvorstellung.
- Es muss eine verpflichtende Digitaltauglichkeitsprüfung von Gesetzen bereits im Gesetzgebungsverfahren erfolgen. Schwerpunkt dieser Digitaltauglichkeitsprüfung muss auf der Wiederverwendung wohldefinierter Rechtsbegriffsmodule und der Erstellung erforderlicher Prozessablaufdiagramme mit deren im Vollzug erforderlichen Datenfeldern, Datenschnittstellen und technischen Verfahren liegen.
- Die Harmonisierung des Rechtsbestandes ist Schlüssel zum digitaltauglichen Recht. Es steht gleichberechtigt neben den anderen wichtigen Bausteinen der Digitalisierung von Verwaltungsleistungen, wie Onlinezugangsgesetz, Registermodernisierung und Unternehmensbasisregister. Ziel muss es sein das Modularisierungs- und Baukastenkonzept auf alle wesentlichen Rechtsbegriffe zu übertragen. Begonnen werden sollte mit der Analyse der benötigten Datenfelder und Datenschnittstellen für den digitalen Datenaustausch zu Einkommensmodulen im Rahmen des ELFE-Projekts (Einfach Leistungen für Eltern).
- Die Digitaltauglichkeit des Rechts ist als eigenes Rechtsprinzip zu verankern. Die Digitaltauglichkeit muss Eingang in die juristische Methodenlehre finden. Gleichzeitig bedarf es einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Streben des Gesetzgebers nach Einzelfallgerechtigkeit. Dieses Streben trägt entscheidend zur Komplexität von Recht und Vollzug bei und führt dazu, dass durch die Überkomplexität der Antragsverfahren Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen staatliche Leistungen nicht in Anspruch nehmen. Eine Reduzierung der Überkomplexität durch Typisierungen gewährleistet mehr Gerechtigkeit und Gleichbehandlung aller Betroffenen.
Das vollständige Gutachten finden Sie hier und auf der Homepage des NKR.
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