"Entwurzelung durch Gewalt" heißt ein Pilotprojekt für geflüchtete Menschen, das am Denkort Bunker Valentin von der Landeszentrale für politische Bildung angeboten wird. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat dem Vorhaben des Bremer Vereins "Erinnern für die Zukunft e.V." jetzt 48.000 Euro Förderung zugesprochen.
Bildungssenatorin Claudia Bogedan freut sich über die Unterstützung und das Projekt: "Ich halte die Entwicklung eines solchen Angebotes für zeitgemäß und freue mich über den erfolgreichen Antrag. Das Format ist Ausdruck einer Willkommenskultur und einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Themen Krieg und Gewalt."
Initiiert wurde das Projekt von der pädagogischen Abteilung des Denkortes. Immer häufiger, so die wissenschaftliche Leiterin Dr. Christel Trouvé, würden gedenkstättenpädagogische Angebote für Gruppen angefragt, zu denen auch Geflüchtete gehörten. Spezielle Angebote würden bisher aber nicht existieren. Vereinsvertreter "Erinnern für die Zukunft e.V." seien sofort überzeugt gewesen, dass die Entwicklung solcher Angebote angesichts der gegenwärtigen Entwicklung sinnvoll sei, sagt Nathalie Sander, Sprecherin des Vereins, der seit den 1990er Jahren Aktivitäten initiiert, die sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus und seinen Folgen bis in die Gegenwart auseinandersetzen. "Wir wollen ein solches Angebot nicht nur für Geflüchtete entwickeln, sondern vor allem gemeinsam mit ihnen", sagt Trouvé. Im Mittelpunkt der Konzeptentwicklung stand deshalb zunächst die Perspektive der Geflüchteten selbst: Welche Fragen haben sie an einen Ort wie den Denkort Bunker Valentin? Welche Rolle spielen ihre eigenen, oft traumatischen Gewalterfahrungen während der Flucht angesichts eines Ortes, dessen Geschichte ebenfalls ausgesprochen gewaltsam ist. Interessieren sich geflüchtete Menschen für die Geschichte des Nationalsozialismus? Welchen Beitrag kann der Denkort Bunker Valentin zur Sensibilisierung für die Situation Geflüchteter leisten?
Zur Klärung dieser Fragen fand in im Frühsommer ein erstes Gespräch zwischen einem Experten-Team aus der Flüchtlingsarbeit und Denkort-Mitarbeitenden statt, in dem es vorrangig um die Rahmenbedingungen spezieller Angebote ging.
In einem mehrtägigen Workshop Ende Juli wurde dann eine Gruppe von Bremern und Bremerinnen mit und ohne eigene Fluchterfahrungen eingeladen, im Dialog mit Beschäftigten der Landeszentrale für politische Bildung bereits bestehende Formate kennenzulernen, zu diskutieren und Ideen und Fragen für Angebote zu formulieren. In diesem Rahmen fand eine intensive Auseinandersetzung mit Themen wie Nationalsozialismus, Zwangsarbeit und Lagergesellschaft statt. Im Mittelpunkt standen vor allem die Biographien der ehemaligen Zwangsarbeiter vor, während und nach ihrer Zeit am Bunker "Valentin" sowie die persönlichen Interessensschwerpunkte der Teilnehmenden. Zentrales Ergebnis beider Veranstaltungen war, dass Interesse an einem Ort wie dem Denkort Bunker Valentin unabhängig von der Frage des Fluchthintergrundes besteht. So war ein Teilnehmer beispielsweise von der Tatsache, dass in Deutschland Mahnmale und Gedenkstätten zur Erinnerung an die NS-Verbrechen eingerichtet wurden, sehr beeindruckt. Er äußerte den Wunsch in seinem Herkunftsland Guinea - sollten sich die politischen Verhältnisse verbessern und er dorthin zurückkehren - eine Gedenkstätte an ein das ehemalige Konzentrationslager Camp Boiro ins Leben zu rufen.
Die Befürchtung, dass eine Konfrontation mit der gewaltsamen Geschichte des Bunkers zu einer Retraumatisierung führen könnte, wurde von den Teilnehmenden nicht gesehen. Zwar sei eine Sensibilität seitens der Vermittler für mögliche Gewalterfahrungen der Teilnehmenden wichtig. Eine Retraumatisierung könne aber auch durch zahlreiche andere Faktoren ausgelöst und deshalb nie vollständig ausgeschlossen werden. Darüber hinaus hoffen die Teilnehmenden, dass Gedenkstätten einen Beitrag zur Sensibilisierung für die Situation von Geflüchteten leisten könnten, indem sie historisch-politische Bezüge zu den Hintergründen von Flucht, Verfolgung und Rassismus deutlich machen.
Die Ergebnisse der beiden Workshops bilden den Rahmen für ein weiterführendes Seminarangebot, dass im Dezember 2016 gemeinsam mit jugendlichen Geflüchteten aus Bremen und Bremerhaven fortgesetzt wird. Im nächsten Schritt sollen weitere Angebote der Landeszentrale für politische Bildung am Denkort entstehen, die die Kommunikation zwischen Menschen mit und ohne Fluchterfahrung über Geschichte und Gegenwart ermöglichen.
Kontakt und Ansprechpartner:
Landeszentrale für politische Bildung Bremen
Referat Denkort Bunker Valentin
Dr. Christel Trouvé
Wissenschaftliche Leitung
Rekumer Siel, 28777 Bremen
Telefon: 0421-69673670
mail@bunkervalentin.de
Foto: Denkort/LzpB