Sozialsenatorin Anja Stahmann: Viele Betroffene leiden bis heute
21.03.2017Leid und Unrecht, das behinderte Menschen in der BRD und der DDR in Heimen sowie in der Psychiatrie erfahren haben, sollen gesellschaftlich stärker wahrgenommen und anerkannt werden. Betroffene sollen ihre Geschichte für eine wissenschaftliche Aufarbeitung erzählen können. Außerdem kann die von Bund, Ländern und den christlichen Kirchen getragene "Stiftung Anerkennung und Hilfe", die von der Anlauf- und Beratungsstelle beim Amt für Versorgung und Integration Bremen (AVIB) umgesetzt wird, Geldzahlungen bis zu 14.000 Euro anweisen. Einer entsprechenden Vereinbarung zwischen Bund, Ländern und Kirchen war Bremen im Dezember 2016 beigetreten. Inzwischen hat die Stiftung ihre Arbeit aufgenommen. "Betroffene können sich an die Beratungsstelle wenden", sagte Anja Stahmann, Senatorin für Soziales, Jugend. Frauen, Integration und Sport gestern (20.03.2017) bei der Vorstellung der Stiftung. "In der Vergangenheit haben sich Staat und Kirchen bereits dem Unrecht zugewandt, das Nicht-Behinderten in Heimen widerfahren ist. Dank der Stiftung Anerkennung und Hilfe können wir dieses finstere Kapitel unserer Geschichte endlich auch aus der Sicht von Behinderten aufarbeiten."
"Mit der Gründung der Stiftung wird endlich auch das Leid anerkannt, das behinderte Menschen in Einrichtungen erfahren haben. Und die jetzt anstehende Aufarbeitung der Vergangenheit kann das Bewusstsein für das erlittene Unrecht schärfen", sagte Dr. Joachim Steinbrück, Behindertenbeauftragter des Landes Bremen. "Mir geht es dabei vor allem auch darum, aus der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen. Denn unsere Gesellschaft muss wachsam bleiben, damit Menschen mit Behinderungen nie wieder schutzlos der Willkür von Institutionen ausgeliefert sind."
In der Zeit von 1949 bis 1975 (Bundesrepublik Deutschland) beziehungsweise 1949 bis 1990 (DDR) haben Kinder und Jugendliche in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe sowie der Psychiatrie anerkanntermaßen Leid und Unrecht erfahren. "Viele der Betroffenen leiden noch heute unter den Folgen ungerechtfertigter Zwangsmaßnahmen und Strafen oder Demütigungen", so Senatorin Stahmann. Und viele müssten bis heute finanzielle Einbußen hinnehmen, weil sie gearbeitet hätten, ohne dass dafür Beiträge an die Rentenkasse gezahlt wurden.
Betroffene, die bis heute mit Folgewirkungen aufgrund erlittenen Leids belastet sind, können nun bis zu 9.000 Euro als pauschale Geldleistung erhalten. Bei mehr als zweijährigen – dem Grunde nach sozialversicherungspflichtigen – Arbeitseinsätzen, für die keine Sozialabgaben geleistet wurden, können bis zu 5.000 Euro als Rentenersatzleistung geleistet werden, bei kürzerer Arbeitszeit sind es 3.000 Euro. Beides kann nicht angerechnet werden auf Sozialleistungen; die Zahlungen sind steuerfrei und bei verschuldeten Betroffenen auch nicht pfändbar. Die Stiftung hat eine fünfjährige Laufzeit bis zum 31. Dezember 2021. Bis zum 31. Dezember 2019 können sich Betroffene für eine individuelle Beratung sowie für Anerkennungs- und Unterstützungsleistungen bei der Anlauf- und Beratungsstelle melden.
Anfang März hatten nach Angaben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, das Träger der Stiftung ist, sechs von 16 Ländern der Bundesrepublik Deutschland die Beratungstätigkeit aufgenommen. Neben Bremen waren das Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein.
Die Stiftung "Anerkennung und Hilfe" im Amt für Versorgung und Integration ist erreichbar unter Telefon 0421/361-5292; Termine nach Vereinbarung.
Näheres unter: www.bmas.de/DE/Themen/Teilhabe-Inklusion/Stiftung-Anerkennung-und-Hilfe/stiftung-anerkennung-und-hilfe.html
Foto: Pressereferat der Senatorin