„Schütteln ist die häufigste nicht natürliche Todesursache bei Säuglingen“
24.08.2018Nach Schätzung von Expertinnen und Experten erleiden in Deutschland jedes Jahr 300 bis 400 Säuglinge und Kleinkinder ein Schütteltrauma – und die Dunkelziffer ist hoch. „Die Folge können Hirnverletzungen sein, die lebenslange schwere Behinderungen nach sich ziehen sein oder sogar zum Tode führen“, mahnte Anja Stahmann, Senatorin für Soziales, Jugend, Frauen, Integration und Sport. „Kopfverletzungen durch Misshandlungen, zu denen in erster Linie das Schütteln zählt, sind bei Säuglingen und Kleinkindern die häufigste nicht natürliche Todesursache.“ Viele körperliche und geistige Behinderungen gehen nach Expertenmeinung auf nie diagnostiziertes Schütteln zurück. Allerdings wissen nach unterschiedlichen Erhebungen die Hälfte bis ein Viertel der werdenden und jungen Eltern nichts von diesem Risiko. Aus diesem Grunde stellt die Senatorin im Rahmen des bundesweiten Bündnisses gegen Schütteltrauma die bremenweite Aktion „Stärken statt Schütteln“ vor: „Die Kernbotschaft ist eigentlich: Mach irgendwas, aber schüttel nie dein Baby.“
Mit Plakaten und Transparenten soll auf die Angebote der Frühberatungsstellen sowie auf spezielle Beratungstermine der Baby- und Schrei-Ambulanz in den Monaten August bis November hingewiesen werden. Außerdem sollen mehrere Veranstaltungen im November dazu beitragen, Eltern zu stärken. Fachveranstaltungen zu den Themen „Emotionelle Hilfe mit Eltern und exzessiv schreienden Kinder“, Körperintelligenz und Bindung“ sowie „Babyschreien, Körper und Bindung“ runden die Aktion ab. Dazu gehören Themen wie „Eine Auszeit für mich“, „Babys pflegen, baden und halten“, Babymassage und ein Film über Eltern, die berichten, wie sie schon vor Spannungssituationen gestanden haben, in denen sie ihr Kind schütteln wollten.
„Eltern können sich überfordert fühlen, wenn Babys – manchmal ohne erkennbaren Grund –sich nicht beruhigen lassen“, sagt Senatorin Stahmann. „Wer gerade Vater oder Mutter geworden ist, kann sich manchmal kaum vorstellen, wie das Schreien des geliebten Kindes einen an den Rand bringen kann, gerade wenn man selber im Stress ist – oder weil das Kind einem über Wochen den nächtlichen Schlaf raubt.“ Wichtig sei es, sich dieser Gefühle bewusst zu sein. „Eltern sollten frühzeitig Strategien entwickeln, wie sie in solchen Situationen der emotionalen Überforderung reagieren“, sagte die Senatorin. „Wer weiß, dass ein Baby nicht nur positive Gefühle auslösen kann, wer weiß, dass man auch wütend auf sein geliebtes Baby sein und sich unendlich hilflos fühlen kann, der ist viel besser vor so einer Kurzschlussreaktion geschützt.“
Warum das Schütteln so gefährlich ist, schildert die Senatorin so: „Der Kopf eines Babys ist im Vergleich zum Rest des Körpers sehr groß und schwer. Dabei kann die Nackenmuskulatur den Kopf nicht halten. Wird das Baby geschüttelt, fällt der Kopf nach vorn und hinten, feine Adern reißen und es kommt zu Blutungen im Gehirn. In der Folge werden die Nerven im Gehirn geschädigt, oder auch die Netzhaut im Auge. „Die Kinder können sterben, erblinden, ihr Leben lang epileptische Anfälle bekommen – oder so schwere Schäden erleiden, dass nur noch Maschinen sie am Leben halten können.“ Sind die Schäden nur leichter, können sie zunächst unbemerkt bleiben, sich dann aber in der Schule mit Leistungseinschränkungen bemerkbar machen.“
Wer spürt, dass er an seine Grenzen stößt, dem hilft fürs Erste schon ein einfacher Dreischritt: „Das Kind sicher ablegen, das Zimmer verlassen, tief durchatmen.“ Wichtig sei, das eigene emotionale Gleichgewicht wiederherzustellen. „Dazu kann es auch helfen, einen Freund anzurufen oder bei den Nachbarn zu klingeln.“ Kommt man nicht zum ersten Mal in eine solche Situation, können die Schreiambulanz oder die Frühberatungsstellen darüber hinaus wichtige Unterstützung anbieten.
Doch alle Tipps gehen manchmal ins Leere: „Wenn eine Baby geschüttelt wurde, muss es sofort zum Arzt“, betont Senatorin Stahmann. „Und man sollte da auch keine Lügenmärchen auftischen.“ Je früher die Behandlung einsetze, desto besser stehen die Chancen, die gesundheitlichen Folgen zu begrenzen.
Weitere Informationen finden sich unter www.staerken-statt-schuetteln.de
Postkarten sowie Bus- und Bahn-Werbung weisen in den kommenden Monaten auf die Aktion und die Veranstaltungen hin. Die Informationen stehen auch in türkischer, arabischer, französischer, englischer und russischer Sprache zur Verfügung.
Fotos: Senatorin für Soziales, Jugend, Frauen, Integration und Sport