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Senatskanzlei

Böhrnsen: „Wir gehen vor das Bundesverfassungsgericht!“

Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke falsche Weichenstellung der Energiepolitik

26.11.2010

„Die Bundesregierung hat die Uhren zurückgestellt, aber nicht von Sommer auf Winter, sondern von Zukunft auf Vergangenheit!“ Dies erklärte Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen im Rahmen der heutigen (26.11.2010) Debatte im Bundesrat zu der von der Bundesregierung geplanten Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke. Böhrnsen sieht in der mutwilligen Auflösung des gesellschaftlichen Konsenses zum Ausstieg aus der Atomenergie eine Gefahr für den inneren Frieden in Deutschland. Deshalb werde sich Bremen auch an einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht beteiligen.

Nachfolgend die Erklärung von Bürgermeister Böhrnsen im Bundesrat zur Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke:

Berlin, Freitag 26. November 2010

„Die aktuelle Debatte um die Verlängerung von AKW-Laufzeiten hat zwei Dimensionen, die weit über alle technischen oder juristischen Fragen hinaus gehen.
Da ist zum einen die Aufgabe des gesellschaftlichen Konsenses über eines der umstrittensten politischen Themen der vergangenen Jahrzehnte. Der Kampf gegen die Atomkraftwerke hatte Deutschland verändert, Gorleben, Brokdorf oder Biblis waren mehr als Ortsnamen, sie standen für erbitterte Auseinandersetzungen.

Der Atomausstieg, den die rot-grüne Bundesregierung mit der Energiewirtschaft ausgehandelt hat, war ein Segen für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Jedem war klar, dass die Atomkraftwerke nicht von heute auf morgen verschwinden würden. Aber jedem war auch klar: es ist eine auslaufende Technologie. Es werden keine neuen Probleme auf die alten gehäuft.
Diesen Konsens hat die Bundesregierung mutwillig gebrochen, die Demonstrationen in Gorleben haben gezeigt, was angerichtet wurde. Die Heftigkeit und Nachdrücklichkeit der Demonstrationen waren nicht nur der Protest gegen die Technologie – es war der Protest von Bürgerinnen und Bürgern, die sich von der Politik der schwarz-gelben Koalition verraten und verkauft fühlen.

Die zweite Dimension des heutigen Gesetzes, die weit über die Tagesaktualität hinaus geht, ist die Umkehrung der energiepolitischen Entwicklung in Deutschland. Die schwarz-gelbe Koalition, nämlich die Koalitionsfraktionen des deutschen Bundestages befeuert von der Bundesregierung, haben die Uhren umgestellt. Nicht um eine Stunde von Sommer- auf Winterzeit, sondern schlicht von Zukunft auf Vergangenheit.
Als Trugschluss wird sich in der praktischen Zukunft erweisen, dass sich die Bundesregierung mit ihrem Energiekonzept grundsätzlich zum Ausbau der Erneuerbaren Energien als tragende Säule einer zukunftsfähigen Energieversorgung für Deutschland bekennen würde. Die AKW-Laufzeitverlängerung ist nach meiner Auffassung nicht eine Brücke in eine Zukunft der umfassenden regenerativen Energiegewinnung, sondern stattdessen eine Innovations- und Investitionsbremse für die Umwelt- und Energiewirtschaft.

Dabei liegen die Vorteile einer Strategie PRO regenerativer Energien und Klimaschutz klar auf der Hand:

  • weniger klimaschädliche CO2-Emissionen
  • geringere Abhängigkeit von Energieimporten
  • erhebliche Potentiale für Innovation
  • Wachstum und Beschäftigung beim Umbau und im Betrieb des neuen Energiesystems
  • Schutz natürlicher Ressourcen und
  • eine auch langfristig kostengünstige Energieversorgung.

Bremen hat diese Chancen früh erkannt und sich als Standort für Umwelttechnologien auch international und mit anerkanntem Erfolg positioniert. Ein herausragendes Beispiel sind die Aktivitäten des Landes zum Thema Offshore-Windenergie. Mit einer breit getragenen Landesstrategie will Bremen seine Stellung als Kompetenzzentrum für erneuerbare Energien – Schwerpunkt: Windenergie - in den nächsten Jahren weiter ausbauen. Dass die Bundesregierung die Nutzung der Offshore-Windenergie beschleunigt, ist dringend erforderlich, damit weiterhin auch deutsche Unternehmen auf diesem wichtigen Wachstumsmarkt eine wichtige Rolle spielen können.

Doch dies wird von der Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke wesentlich erschwert. Diese Verlängerung kann und wird auch dazu führen, dass geplante Neubauten von kleinen, dezentralen Kraftwerken zurückgestellt werden. Die regionalen und lokalen Versorgungsunternehmen werden die Verlierer dieses Prozesses sein. Wen wundert es, dass nur in den Konzernzentralen heute die Sektkorken knallen werden.
Aber es gibt noch mehr Verlierer. Auch die Stromkunden werden draufzahlen. Dem angestrebten Wettbewerb auf dem Strommarkt erweist die Bundesregierung einen schlechten Dienst.

Für Bremen darf ich noch auf einen anderen Effekt hinweisen. Wir setzen mit großem Erfolg auf die Windkraftbranche. Erneuerbare Energien sind ein Motor für technologische Innovationen. Und erzielen dabei breite Arbeitsmarkteffekte. Für viele Arbeitnehmer sind die von den Unternehmen der Windenergie nachgefragten Berufe eine neue Chance für die eigene Zukunftssicherung und für einen neuen Anfang. Zur Zeit sind in Bremerhaven ca. 1000 Arbeitnehmer in der Branche beschäftigt. In den nächsten Jahren werden mindestens noch mal so viele dazu kommen. Hoffentlich. Denn mit den Strommengen aus der billigen Atomenergie darf man auf weiteren Nachfrageschub für regenerative Energien etwas weniger hoffen.

Ich hatte zu Beginn von neuen und alten Problemen gesprochen.

Zu den alten Problemen gehören zweifellos die ungeklärten Fragen der Atommüll-Lagerung. Immer noch gibt es keine Lösung für ein sicheres Endlager. Die Mengen aber werden durch die falsche Politik der Koalition nicht kleiner, sondern größer, das Problem verschärft sich noch. Eine solche Politik kann man nur unverantwortlich nennen.

Ein altes Problem ist eigentlich die Frage der Aufbereitung der Brennstäbe und deren Transporte. Als Bürgermeister einer Hafenstadt kann ich nur sagen: die Geduld der Bürgerinnen und Bürger ist zu Ende. Hochradioaktives Material durch eine Stadt zu transportieren wird zu einem unkalkulierbaren Gesundheits- und Sicherheitsrisiko. Und übrigens auch zu einem unbezahlbaren, wie die letzten Castortransporte in Niedersachsen angedeutet haben. Aus dem alten, durch den versprochenen Ausstieg kleiner gewordenem Problem der Transporte, ist ein neues Problem geworden: niemand will diese Transporte haben, alle Hafenstädte haben erklärt: mit uns nicht. Überzeugungsarbeit bei den Bürgerinnen und Bürgern an dieser Stelle zu leisten – nun, das war mit dem versprochenen Ausstieg möglich. Mit dem gebrochenen Versprechen ist das Vertrauen verspielt.

Die schwarz-gelbe Koalition hat sich nicht getraut, ihre falsche Politik auf den Prüfstand des Bundesrates zu stellen. Klar ist, dass die Länder die Aufsicht über die Atomkraftwerke zu führen haben. Dass das kein Vergnügen ist, kann aus norddeutscher Sicht der Kollege Carstensen sicher bestätigen. Man kann darüber streiten, ob die Länder hätten gehört werden müssen, als beschlossen wurde, die Wahrnehmung der Aufgabe durch den Ausstieg aus der Technologie auslaufen zu lassen. Wenn aber stattdessen diese Aufgabe für viele Jahre wieder neu entsteht, dann müssen die Länder und damit der Bundesrat selbstverständlich zustimmen. Die Bundesregierung verweigert diese Pflicht – deshalb ist es unsere Pflicht, das Bundesverfassungsgericht anzurufen, um die Rechte des Bundesrates zu wahren. Mehrere Gutachter stützen diesen Weg, so soll er gegangen werden.

Lassen Sie mich zum Schluss etwas anfügen, was ich als besonders bedrückend empfinde. Bremen ist geradezu umzingelt von sechs AKWs und es liegt in direkter Nachbarschaft zu einem der ältesten Meiler, dem in Esenshamm. Im nächsten Jahr sollte dieses AKW Unterweser vom Netz gehen. Schon jetzt ist klar, dass dieses AKW zu den unsicheren gehört, gegen terroristische Angriffe aus der Luft fast ungeschützt. Jetzt wird die Laufzeit bis 2020 verlängert, in die Erhöhung der Sicherheit wird nicht investiert. Wer diese Politik nicht für unverantwortlich hält, der lebt im Wolkenkuckucksheim.“