Senatorin Stahmann plädiert beim Bundesverfassungsgericht für höhere Beträge
15.02.2022Alleinstehende Asylsuchende in Gemeinschaftsunterkünften sollen leistungsrechtlich nicht behandelt werden wie Personen in einer Lebensgemeinschaft. Auf Vorschlag von Sozialsenatorin Anja Stahmann hat sich der Senat heute (Dienstag, 15. Februar 2022) gegen die Regelung gewandt, Alleinstehenden in Gemeinschaftsunterkünften nur die Regelbedarfsstufe 2 nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zuzugestehen. In der Stufe 2 werden 330 Euro pro Monat für Lebensunterhalt und persönlichen Bedarf gezahlt, in der Stufe 1 – sie gilt für Alleinstehende außerhalb von Gemeinschaftsunterkünften – sind es 367 Euro. Hintergrund für das Votum des Senats ist eine Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht. Das Gericht kann die Länder in solchen Fällen anhören.
"Die derzeitige Regelung ist nach meiner Auffassung verfassungswidrig", sagte Senatorin Stahmann. Das Asylbewerberleistungsgesetz gehe abstrakt davon aus, dass Menschen in Gemeinschaftsunterkünften auf die gleiche Weise gemeinschaftlich wirtschaften könnten wie zusammenlebende Paare. "Das ist aber eine Annahme, die der Wirklichkeit nicht gerecht wird", sagte die Senatorin. "Die Lebensverhältnisse von Paaren sind nicht vergleichbar mit denen von Menschen, die das Schicksal zufällig in einer Gemeinschaftsunterkunft zusammengeführt hat." Gemeinsames Wirtschaften oder Haushalten sei in dieser Konstellation zumindest nicht in gleichem Maße möglich wie in einer Lebensgemeinschaft. Die im Jahr 2019 bundesgesetzlich beschlossene Absenkung des Regelbedarfs für Alleistehende in Gemeinschaftsunterkünften von Stufe 1 auf 2 sei damit sachlich nicht gerechtfertigt, sie verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und damit gegen die Verfassung. Gleichzeitig habe der Gesetzgeber nicht dargelegt, wie mit einem Betrag von 330 Euro ein menschenwürdiges Existenzminimum gesichert sein solle, die Summe sei nicht anhand nachvollziehbarer Kriterien ermittelt worden.
Auch wenn die Senatorin die Regelung zu den Regelbedarfsstufen für nicht verfassungskonform erachtet, muss die Verwaltung sie auch in Bremen anwenden: "Wir können uns nicht aus einer eigenen Rechtsauffassung heraus über Bundesrecht hinwegsetzen", sagte Senatorin Stahmann. Nur in begründeten Einzelfällen könne sie davon abweichen, wenn angesichts der Pandemie die Möglichkeit gemeinschaftlichen Wirtschaftens nachweislich nicht gegeben sei. Anstelle von Einzelfallprüfungen sei aber eine Gesetzesänderung erforderlich, die zudem über die Zeit der Pandemie hinausreiche: "Ich hoffe, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird das einleiten."
Betroffen sind in Bremen derzeit 176 Personen, die als Alleinstehende in einer Gemeinschaftsunterkunft leben und Küchen und Sanitäranlagen gemeinsam mit Fremden nutzen. Die Bedarfe nach dem Asylbewerberleistungsgesetz liegen unterhalb der Bedarfsstufen 1 und 2 im Sozialgesetzbuch II ("Hartz IV"). Dort betragen die monatlichen Ansprüche 449 Euro in Stufe 1 und 404 Euro in Stufe 2.
Ansprechpartner für die Medien:
Dr. Bernd Schneider, Pressesprecher bei der Senatorin für Soziales, Jugend, Integration und Sport, Tel.: (0421) 361-4152, E-Mail: bernd.schneider@soziales.bremen.de