Gemeinsamer Appell der Landesfrauenbeauftragten, des Landesbehindertenbeauftragten und des Bremer Rats für Integration
08.10.2024Menschen mit unterschiedlichen Unterstützungsbedarfen werden abgehängt, geraten in existenzielle Not und das soziale Miteinander in den Stadtteilen Bremens und Bremerhavens wird schlechter: Diese drastische Sorge formulieren die Landesfrauenbeauftragte, der Landesbehindertenbeauftragte sowie der Bremer Rat für Integration (BRI) in einer gemeinsamen Erklärung, in der sie die Stärkung und Sicherung eines Sozialen Arbeitsmarkts fordern.
Anlass für die gemeinsame Initiative sind die drohenden Kürzungen im Bundeshaushalt und die Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik auf Bundesebene. So werden im kommenden Jahr weniger Bundes-, aber auch weniger EU-Mittel zur Verfügung stehen, um Menschen bei der Integration in den Arbeitsmarkt zu unterstützen. Die Jobcenter haben angekündigt, ihre Maßnahmen vor allem auf Arbeitsmarktnähe hin auszurichten. Damit fallen beispielsweise Menschen aus der Förderung, die längere Zeit ohne Arbeit sind, geringe oder keine beruflichen Kenntnisse haben, Sprachbarrieren überwinden müssen, mit (psycho-) sozialen Problemlagen belastet sind, Behinderungen haben und/oder keine zur Maßnahme passgenaue Kinderbetreuung bekommen.
Projekte in Stadtteilen sind entscheidend für die Lebensqualität in den Quartieren und tragen zum sozialen Zusammenhalt bei. Dies wird geschwächt, wenn künftig Sprachkurse, Kinderbetreuung, Nachbarschaftscafés, Tauschbörsen, Recyclingwerkstätten, Second-Hand-Läden oder Näh- und Kreativangebote wegfallen. Nicht nur den unmittelbar Betroffenen, sondern auch den Quartiersbewohnerinnen und -bewohnern fehlen damit niederschwellige und gut erreichbare Orte der Teilhabe und des Austauschs.
Landesfrauenbeauftragte Bettina Wilhelm, Landesbehindertenbeauftragter Arne Frankenstein sowie Selda Kaiser, im Namen des Vorstandes des Bremer Rates für Integration, erklären gemeinsam:
"Wir appellieren an den Senat, die Jobcenter und die Agentur für Arbeit sicherzustellen, dass Menschen mit Unterstützungsbedarfen in Bremen und Bremerhaven nicht weiter abgehängt werden. Eine Fokussierung der Arbeitsmarktförderung auf Personen, die zeitnah eine realistische Perspektive haben, eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erlangen, greift viel zu kurz. Menschen, die als arbeitsmarktfern gelten, werden allein gelassen und können in existenzielle Schwierigkeiten geraten. Dies betrifft vor allem Menschen mit Beeinträchtigungen sowie mit Flucht- und Migrationsgeschichte sowie Alleinerziehende, hier jeweils Frauen in besonderem Maße. All diese Zielgruppen können mit Unterstützung und Orientierung beim Heranführen an eine berufliche Tätigkeit, bei der Bewältigung des Alltags oder beim Erlernen der Sprache viel erreichen. Viele Projekte haben dies in der Vergangenheit bewiesen. Die Menschen bekommen so Anschluss an gesellschaftliches Leben und viele entwickeln Schlüsselqualifikationen sowie Perspektiven für den Einstieg in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.
Aber auch Menschen, die absehbar keine oder schlechte Chancen auf Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt haben, müssen geregelte und gesicherte Zugänge zu Beschäftigung bekommen, damit sie am gesellschaftlichen Leben teilhaben und für sich Perspektiven entwickeln können. Projekte in den Stadtteilen können hier Erfolge vorweisen und sind zugleich Anlaufstellen für Beratung und Unterstützung für alle Menschen im Quartier. Sie sind Orte des Miteinanders und der Selbstermächtigung. So bieten sie eine soziale Infrastruktur vor Ort, die es sonst nicht gäbe, und vermitteln Kontakte zu Bewohner*innen in den Stadtteilen, die sonst nicht erreicht werden.
Wenn bewährte Programme nicht fortgeführt werden, dürfte dies bei den meisten Betroffenen die bestehende Marginalisierung verschärfen. Ein solches Vorgehen signalisiert, dass die betroffenen Menschen von Teilhabeprozessen der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Dies wiederum dürfte die psychosoziale Situation der Betroffenen und ihrer Familien erheblich verschlechtern oder zu existenziellen Nöten führen. Die Integrationschancen von Migrant*innen werden erheblich gefährdet. Insbesondere neu zugewanderte Frauen sind oft auf maßgeschneiderte Förderangebote und niedrigschwellige Eingliederungsprojekte angewiesen. Die geplanten Einschnitte führen zu einer erhöhten Isolation und Perspektivlosigkeit, die nicht nur die individuelle Teilhabe am Arbeitsleben erschwert, sondern auch die erfolgreiche Eingliederung in soziale Netzwerke und damit langfristig den sozialen Zusammenhalt und die Vielfalt unserer Stadt gefährdet.
An der Sicherstellung von Teilhabe durch einen Sozialen Arbeitsmarkt führt aus unserer Sicht auch angesichts der verfassungsrechtlichen Gewährleistungen von Menschenwürde und Sozialstaatsprinzip kein Weg vorbei. So ist es auch im Koalitionsvertrag für die aktuelle Wahlperiode festgehalten. Wir sehen bei den Verantwortlichen durchaus das Bemühen, einzelne Projekte zu erhalten. Aber dies ist aus unserer Sicht nicht ausreichend. Wir appellieren deshalb an den Senat, sich nicht nur zur Sicherung eines Sozialen Arbeitsmarktes zu bekennen, sondern eine ressortübergreifende Gesamtstrategie zu entwickeln, die die bestehenden Bedarfe der Menschen zur Integration in den Arbeitsmarkt, zur gesellschaftlichen Teilhabe ebenso wie die Lebensqualität in den Quartieren in den Blick nimmt. Hierbei sollten die besonders betroffenen Quartiere künftig besonders wirkungsvoll erreicht werden."
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